Es folgt ein Rückblick auf das CCCamp2019, das alle vier Jahre stattfindet und im August in Brandenburg materialisiert wurde. Wie ein Vortrag zu „20 Jahre Camp“ anschaulich vermittelte, handelt es sich beim CCCamp um eine Verschmelzung von „Open-Air- und Hacker-Kultur“, wenn nicht sogar Rave und Hack.
Denn einer der Aktiven des Chaos Computer Club Hamburg, Tim, war recht umtriebig in den 1990ern in Berlin und den sich professionalisierenden Club-Events, den ersten großen Raves, die von Hamburgern und Berlinern organisiert wurden. So lernte er die Pyonen kennen. Tim hat dann gemeinsam mit den Pyonen – Andre und Markus – das erste Camp 1999 ins Rollen gebracht. Im Video/ Vortrag blicken sie „zurück auf die Entstehungsgeschichte des Camps und die besonderen Herausforderungen bei der Planung und Logistik des Events. Das erste Camp auf einer Pferdewiese in Altlandsberg war für den CCC ein Kraftakt. Aus der Vorlage der niederländischen Camps 1993 (Hacking at the End of the Universe, HEU) und 1997 (Hacking In Progress, HIP) wurde versucht, eine Veranstaltung zu kreieren, die sowohl den Geist des Clubs als auch den schon damals starken Einfluss der damaligen Techno-Open-Air-Szene kombiniert. Bestärkt durch den erfolgreichen Umzug des Chaos Communication Congress Ende 1998 nach Berlin nahm der Club die Herausforderungen an und entwickelte mit den Pyonen eine fruchtbare Kooperation, bei der jede Gruppe Ihre Stärken ausspielen konnte. (…) Am Ende gelang es dem ersten Camp, die Grundlage zu legen für die Veranstaltung, die es heute ist: ein Ort der Freiheit und Kreativität, der dem Spaß am Gerät, der Ästhetik und der Kommunikation den notwendigen Raum bietet.“ (Infotext zum Video).
In dem Talk wird auch betont, dass das Camp und C3 in den letzten Jahren immer politischer geworden seien und das symbolisierte sich für Markus anhand der Anti-Fa Flagge am Schornstein des Camps (und andernorts auf dem Gelände). Denn Mildenberg sei Brandenburg, wo die AFD prominent ist und schon für die kommenden Wahlen mobilisiere, da sei das wichtig. Tim erwidert, dass der Club schon immer politisch gewesen sei. Aber dass man jetzt erkannt habe, dass es wichtiger sei das auch nach aussen zu kommunizieren. Es komme auch daher, dass es bei Camp und Congress gelungen sei die Vernetzung mit anderen Kulturäumen voranzutreiben. Das Camp sei nun bunter nicht nur wegen dem bunten Licht, sondern auch weil es nicht mehr nur aus den lokalen Branches des Vereins bestehe, sondern internationale Gäste hätte, sowie Leute aus Theater, Kunst, Kultur und Aktivismus.
Soweit zu Campgeschichte, weitere Details bietet das Video.
Zu diesen Leuten aus Kunst, Kultur und Aktivismus gehörten auch einige aus unserem Village-Cluster 1Komona; schon bei den C3s in Leipzig war auch Reclaim Club Culture Teil der neuen Assembly. Leider sind die meisten Komona-Mitglieder noch nicht so vertraut mit ihrer Gruppe, die ja noch jung ist sowie mit den Abläufen der C3-Events. Wohl auch deshalb waren am Dienstag kaum Leute vor Ort und noch nicht viel aufgebaut. Das Komona-Motto „If You Are Komona You Can Make It Work“ ist noch nicht in die Identitäten der Beteiligten vollends übergegangen, aber die Villages haben sich bemüht ihre Rollen und Tasks angemessen auszufüllen. So entstand, während das offizielle Camp-Programm schon startete, nebenbei unser Dorf und ein soziales Gefüge, das aus vielen kleinen Gruppen besteht. Diese waren:
Die Spieleberatung, die Anarchisten, Mobiles Infozelt, Heart of Code, IT Kollektiv, SSB, NixOS, Postapokalyptik Schrott Workshop, no name group, AFRA Hacker Space Berlin, Queer Feminist Geeks, Hispagatos, Chateons (miau!), Librehosters, Röschens Räterepublik, Reclaim Club Culture sowie weitere Gruppen, die später kamen oder jetzt vergessen wurden.
Warum, wer Teil von Komona wird ist nicht ganz durchschaubar, aber vor allem weil man nicht Teil eines/r der bereits existierenden Clubs/Assemblies/Villages ist. Der Status des Villages im Camp insgesamt, Newbees, materialisierte sich auch auf dem Campgelände, das uns zugewiesen wurde. Hier gab es kaum Bäume und viel Sonne. Die Toiletten hatten anfangs kein Wasser und später kam es auch nur für die Toiletten, Hände/waschen musste man woanders. Klingt lächerlich, war aber doch eine ernstzunehmende Einschränkung, wenn man die Hygieneregeln einigermaßen erfüllen wollte, auch weil einige von Komona vorher auf einem Festival gewesen waren, wo dies nicht so gut geklappt hatte und dies deshalb vorzeitig enden musste. Auch Staub war ein ständiger Begleiter.
Beim Camp gab es zwei Vortragszelte an denen die Vorträge und Gespräche aufgenommen/ gestreamt wurden, diese Hauptprogramm hatte eine separate Schedule. Auch das Village 3 Headed Monkeys hatte eine Bühne und filmten/ streamten, kuratierten ein unabhängiges Programm. Sowie alle anderen Villages, die ihre Events als Self Organized Sessions ankündigen, die man separat oder in einem Gesamtkalendar abrufen kann.
Bei 1Komana gab es folgende Sessions im Angebot:
AfD-Plakate entsorgen!, Anarchist Networking Party w/ Las Vegas Lady and Planète Concrète, Anti Capitalist CTF, Arranged Marriage, CCClasse – bezahlen für Arbeit? / CCClass – to pay for work?, Camp Pride Orga Meeting, 1st (open for all), Cryptpad, DIY reading session / DIY lese session, Ethical hosting: where are your data?, Hosting for non-geeks: communication needs, How to collaborate better, How to talk to the badge – a (micro-)python introduction for BEGINNERS!, Introduction to infoshop, Lh lightning talks, Meet librehosters, Mental Training Against Sexual Harassment, Movie screening „weird Germany series“ – day 2 : Kasper Hauser goes techno, Movies screening „weird Germany series“ – day 2 : The old Kasper Hauser, Networking Basics on the Command Line, Patterns for Decentralization, Postapokalyptic jewellery, Run your own Matrix server, Sticker Exchange Party, TechCoop Meetup, Terraform and Docker to selfhost, Trickmisch – Trickfilme erstellen, YunoHost workshop: install your own!
Und noch weitere,wie Club culture against the monopoly of Facebook, Digital Activism Training – Infrastructuring for the upcoming rave protests for climate von RCC . Die wohl großartigste Session unseres Villages, wenn nicht des Camps, das Chaos Ballett, initiert von Einzelkämpfer*innen der Gruppen Reclaim Club Culture und Extinction Rebellion , wurde zu der sportlichen Uhrzeit 5am angeboten, aber auch spontane Performances waren möglich. Die partizipative und performative Natur dieser Session zielte darauf ab Argumente zu fühlen, anstatt gefühlte Argumente zu reproduzieren. Weitere wichtige Keywords waren: Ballett, Revolution, Emma Goldmann, Trampolin, Chaos, Argumente, Gefühle, Feminismus, Schwerkraft, Drahti.
Das dezentrale RCC Büro war nachmittags geöffnet, wenn nicht ohnehin in Gebrauch. Fleich neben dem RCC Büro war die zweite, dezentrale Infotafel von Komona und die existenzielle Schildermalstation. Überhaupt spielte sich im gewollt dezentralen dann soviel ab, dass sich separatistische Strömungen mit den Tagen aufbauten. In der Nacht von Freitag auf Samstag war „Upper“ and „Lower“ Komona durch eine Grenze geteilt worden.
Man kann sich vorstellen, dass wenn es schon bei Komona so ein Überangebot an Aktivitäten und Dynmaiken gibt, was insgesamt so am Camp los war. Ausserdem gab es mehrere Seen in der Umgebung, einen kleinen Yachthafen und man konnte Boote ausleihen. Selbstverständlich, wenn auch nicht ausreichend und zu monothematisch, gab es Musik – offiziell auf zwei Floors, diese hatten ihren eigenen Abfahrplan
Alles inoffizielle an Musikprogramm wurde aufgrund von Lautstärkebeschwerden, Camp-Regelwerken und mangelndem Emathievermögen unterbunden, was bedauerlich war und in Zukunft anders gelöst werden müsste. 1Komona hatte am Freitagabend eine Anarchist Networking Party und das DJ-Programm musste, ja konnte aus der Not heraus nach Mitternacht als Silent Disko vollzogen werden. Zur vollsten Ernüchterung der DJs. Mit den Tagen wurde das Musikhören über Kopfhörer aber zur Angewohnheit, wenn nicht zum luxeriösen Markenzeichen von Komona.
Oder man machte es so wie das Social Distortion Protocol Village früh am Abend organisiert 2 Stunden tanzen. Oder man drehte mit dem lautstärkemoderaten Soundsystemroboter ein paar Runden. Glücklicherweise gab es wenigstens bei Milliways Konzerte/Djs, die gut ausgerüstet waren. Noch übertriebener dick aufgefahren in Sachen Entertainment, aber effektiv und noch bis spät Sound gabs beim selbsternannten Bayerischen Amts-Königreich. Aber auch das illegale und clevere Micro-Berghain, bot eine Alternative zu später Stunde. Angesiedelt war es neben einem unbewohnten Nicht-Ort, weshalb es hier von der sympathischen aber resoluten CrewCrew keine Beschwerden gab. Oder sie sind an den knallharten Türsteher*innen gescheitert.
Weil so viel los war und die Zeit so kurz habe ich mir das gespart, was aufgezeichnet wurde. Um das später nachzuschauen, was nie klappt, weil es immer zu viele sehenswerte Videos gibt. Hier eine (Vor-)Auswahl:
Hambacher Forst #hambibleibt Vom Widerstand gegen Braunkohletagebaue, die Klimakatastrophe und über das Leben in einer Waldbesetzung
#Fusionbleibt Wie das Fusion Festival sich erfolgreich gegen anlasslose Polizeipräsenz wehren konnte.
Was tun gegen Digitale Gewalt gegen Frauen „Nicht dem Phänomen Cybercrime im engeren Sinne zuzuordnen“ (Antwort der Bundesregierung)
Exposing Systems of Power and Injustice 5 Years of Disruption Network Lab
Robotron a tech opera – computers & the GDR
Privacy: An Unequally Distributed Resource A Study of Privacy as Privilege in Our World
Sozial-ökologische Dimensionen von Digitalisierung
Eine Aufregung verbreitete sich auch um das Card10, das vorab genug TeilnehmerInnen bestellt und bezahlt hatten, sodass nach ein paar Tagen noch alle eins bekommen konnten. Die Campteilnehmer*innen teilten zunehmend dies Feature am Handgelenk. Oder man sah Teilnehmer*innen mit Uhr und Computer brüten. Dieses Messgerät wird noch einige Camp BesucherInnen beschäftigt halten, da es das wunderschöne Spielzeug erstmal halbwegs zu verstehen gilt. Wohl deshalb gab es auch einige Sessions, Workstations und Main Talks, die sich mit dem Card10 beschäftigten:
card10 Badge „the 2019 camp badge, bio monitor, wrist worn POV device, and everything else your imagination comes up with. This year’s 0b10nd edition of the camp badge is card10. It comes packed with biosensors and can talk to many devices with BLE (Bluetooth Low Energy). As usual it comes with some space to extend it with further electronics and this time a programming interface that is even easier to use, so you can individualize your card10 and pick up some new skills on the way“.
Auch zum Hypethema AI, also da wo das Geld momentan hinfließt, gab es Beiträge und unsere Nachbarn von Artes Mobiles haben ihren künstlerischen Beitrag geliefert: „A spherical object serves as a volumetric display to visualize speculative artificial intelligence in the form of sound-image associations.The object consists of a seemingly chaotic heap of led stripes in which three-dimensional shapes, patterns and structures of light appear. The visual structures are produced by the neural network through the association with sounds“.
Ethikrichtlinien für Künstliche Intelligenz? Wie wär’s mit Gesetzen? Wie die Industrie mit Debatten um „ethische KI“ Zeit kauft
Neben den zu erwartenden Tech-Workshops und Talks konnte man mit anderen Camper*innen organisiert nackt Tee trinken, spazieren oder baden gehen, Edelstahl ätzen (angezogen!), am Gameboy Music Contest teilnehmen, Synthesizer löten, Keyboards bauen, Briefe in den Knast schreiben, SIM-Karten und Card10 Ersatzteile shoppen oder skandieren, dass Pluto sehr wohl ein Planet ist. Sogar Softeis mit Schockosoße und Schlagsahne soll es gegen haben.
Für Beschwerden aller Art war das Salzamt zuständig, diese mussten der Tradition folgend schriftlich in Formularform eingereicht werden. Denn das Salzamt war eine im Mittelalter übliche Behörde, die den Salzabbau und den Handel mit Salz überwachte. Der Salzhandel war ein wichtiges Monopol im Habsburgerreich. Die Salzämter waren eine direkt dem Herrscherhaus unterstellte Behörde. Das Wort „Salzamt“ lebt in Österreich weiter als Ausdruck für eine nicht existierende Behörde. Wenn es gegen eine behördliche Entscheidung keinen Rechtsweg gibt, kann man sich „beim Salzamt beschweren“. Bei Notfällen ausserhalb der Öffnungszeiten konnte man „SALZ (DECT, 7259)“ anrufen. Wer hier nicht alles los wurde konnte noch tiefer gehen. Und seinen Ärger tauschen. Für die Psychohygiene und schlechte Gefühle trotz optimaler Bedingungen gab es dann noch Angerbooth/ Anger Exchange Point der Haecksen – mit einer feierlichen Verlesung des übriggebliebenen Ärgers am letzten Tag.
Yo und als unser Village endlich fertig war, die letzten Schilder aufgehängt und Küchenschichten besetzt, da ging es auch schon wieder ans De-Asembling. Das war auch der heisseste Tag, und wer bis dahin noch nicht die ganze Wirkungsbandbreite der Eismaschine verstanden hatten und warum sie so gut ausgeschildert war, verstand es jetzt noch.
Beim nächsten Mal braucht 1Komona mehr Mensch und Cyborgs zum Auf- und Abbauen. Für Eiswürfel ist gesorgt.
Ohne Himmel und Engel bewegt sich beim Camp nichts, deshalb wurde auch ans Engel-danken erinnert!
Wer schlau genug war hat sich eine Postkarte nach Hause geschrieben: Greetings aus 1Komona, C3 Universe!