Jährlich seit 1984 treffen sich zwischen Weihnachten und Sylvester Computer Nerds, Wissenschaftler*innen, Aktivist*innen und Interessierte; heuer pilgerten 17.000 zum C3, der seit 2017 im Leipziger Messezentrum abgehalten wird (siehe auch weitere Beiträge auf diesem Blog: ChaosCommunicationCamp 2019, 35C3 , 34C3). Wie immer war der Chaos Communication Congress eine totale Überforderung. Während die letzten Jahre in Leipzig und das Camp im August bei mir noch mit Euphorie einhergingen, blieb diese diesmal aus. Das kann auch an meinem eigenen subjektiven Zustand liegen, der auch mit „Resource Exhaustion“ beschrieben werden könnte, und der die Geschehnisse natürlich immer mit beeinflusst. Letztendlich hatte ich den Eindruck, dass es sich möglicherweise auch um eine Erschöpfung von Seiten der Organisator*innen und Macher*innen handelt, die dieses Jahr bereits den zweiten Großevent organisierten. Das machte sich bemerkbar. Auch, wenn alles wieder super organisiert war, fehlte irgendwie etwas. Auch auf Seiten derer, die keinen großen Aufgaben übernahmen erschöpfte sich nach dem Camp möglicherweise die Ressource Aufnahmefähigkeit. Ich selbst hatte oft den Eindruck, dass sich Situationen und Inhalte wiederholen.
Öfter wurde über die Bedeutung des Themas spekuliert. Mit dem Open Call for Contributions im Oktober wurde das Motto bereits kurz umrissen:
„Resource exhaustion is a type of attack on computer systems (overwhelming a network host such as a web server with requests from many locations) that is considered rather crude and destructive. Even with two large scale events this year we don’t want to execute such an attack against ourselves. Instead we want to use our own resources in a measured, effective way: Those who do know the extend of their own resources, can set limits, to prevent their exhaustion. On an international stage this wisdom appears to be absent. Resources are exhausted knowingly and willfully, instead of limiting their use. Two years ago, during 34C3, we dedicated a day of our schedule to the topic of global climate change, and in the year following that we joined forces with other civil rights and environment protection NGOs for the Bits & Bäume conference. It is in this tradition and with this spirit that we see this year’s congress’s motto 36C3: Resource Exhaustion„.
Zu Umweltthemen gab es dann aber doch eher wenige Beiträge. Zu wenig, als dass sich dieser Schwerpunkt vom Programm her ableiten ließ. Auch gab es sehr wenig Selbstreflektion in diesem Punkt. Zum Thema Nachhaltigkeit wurde im Infrastructure Review lediglich Witze gemacht. Aber dafür habe ich zum ersten Mal eine ganze Folie mit Logos von Sponsoren gesehen. Es wurde eine CO2 Bilanz erstellt, die für das Netzwerk 11.337 kg, also rund elf Tonnen ermittelte. Dies umfasst aber nur das Internet, was ist mit den ganzen Busfahrten oder Flügen? Themen wie der Energieverbrauch beim Bitcoin Mining oder anderen Tätigkeiten an Computer und Internet wurden meines Wissens nach nicht thematisiert. Lediglich Wie klimafreundlich ist Software? Oder der Vortrag DATACENTER – was wir wissen sollten, streifte auch mal das eigene Wirken im Klimawandel. Bisher verbrauchen die Datacenter nur 3% des Stroms in Deutschland, aber es sollen bis zu 10% in den nächsten 15Jahren werden. Die Rechnezentren produzieren Wärme, die nicht weiter verwertet wird, weil es infrastrukturell bisher nicht möglich ist. Wie kann das sein? [ein Freund machte mich auf diese Artikel zum Thema aufmerksam: Abwärme aus Rechenzentren. Eine riesige Energieverschwendung; Abwärme eines Rechenzentrums heizt Schwimmbad in der Schweiz ] Und was ist mit dem Electronic Trash/ E-Waste? Was ist mit den ganzen Computern, Tablets, Handys, Festplatten usw. die wir nutzen oder genutzt haben? Der einzige Vortrag der alle diese Themen beinhaltet war Degrowth is coming – be ready to repair den ich allen empfehle, die solche Fragen umtreiben. Jedenfalls wurde der Energieverbrauch durch das Internet am 36C3, die elf Tonnen CO2, mit einem Zertifikat von atmosfair kompensiert (bei einer langen Flixbusfahrt werden etwa 40 Cent berechnet). Klar, ist es besser ein atmosfair Zertifikat zu haben und den Verbrauch in Umweltprojekte zu investieren als gar nichts gemacht zu haben, aber Cutting Edge kam mir der Umgang mit dem Klimathema bisher noch nicht vor. Auch wenn es Raum für einen Jahresrückblick von Extinction Rebellion , Science For Future oder Fridays For Future gab. Eine Suche bei ccc media nach „CO2“ ergab vier Treffer (2018 & 2019). „Sustainability“ ergab immerhin 20 Treffer und Nachhaltigkeit nochmal 25. Vieles kam vom der Bits & Bäume Konferenz, diese war also dringend nötig. Selbstredend ist der C3 kein Umweltkongress, aber es ist doch ein Thema der dringlichkeit im Moment.
Zurück zum Congress und der These, dass das Motto auch auf die Organisation und Selbstverwaltung übertragen werden kann. Belegen lässt sich das nicht, aber Vorträge und Musikprogramm schienen wie auf Sparflamme kuratiert, trotz reibungsloser Abläufe. Und wie immer gab es gute Vorträge und interessante Musik. Nur Eben gefühlt weniger, etwas war abwesend. Toll war zum Beispiel der Monis Rache Floor Monipilami, auf dem ich viel zu selten war, und die ein tolles Programm hatten. Habe eine sehr tighte Berliner Rapperin gesehen und durfte ein paar Mal bei der Performance des Chaos Kabel Show Mobil dabeisein.
Bis abends – oder war es erst ab Tag 3? – die Cocktailbar oberhalb von Monipilami eröffnete, gab es hier selbstbewusst ausschließlich den Arbeitercocktail.
Auch die Musik an der Uptime Bar in Halle 2 war eigentlich immer gut, wenn ich vorbeilief, wo ich aber nie länger als 5min verweilte. Zur Furo No Ba Lounge habe ich es gar nicht geschafft diesmal (dass alle Floors neu benannt wurden fanden nicht alle gut und manche nutzten beharrlich die Namen vom letzten Jahr). Nur wenige der Bars haben Musik gespielt, die Lounges hatten DJs und mehr.
Schwierig oder auch nichtsagend fand ich den Hauptfloor. Statt Disko(d)rama gab es dann auch nur noch Discotheque Nouveauancien.
Auch wenn der Raum vom Mainfloor wie immer wunderschön gebaut und designed war hat mich die Musik dort nie berührt. Wenn ich dort war hatte ich sofort das Gefühl nicht mehr auf dem Congress zu sein. Und das meine ich nicht positiv. Zum Glück gab es wieder die halb legale Containerbar, wo man in kleinen und persönlichen Verhältnissen eng gedrängt tanzen oder berrauscht abhängen konnte. Auch hier konnte ich nur ein paar Mal an die Musik anknüpfen, aber sie hat mich auch nicht gestört. Dafür stimmte der Ort. Auch bei der Späti Bar läuft immer (gitarrenlastige) Musik, Songs die ich vor über 20 Jahren toll fand und oft noch nicht mal dann. Aber dort hatte ich einen Glücksmoment, als Jello Biafra in den frühen Morgenstunden lief. Das hatte ich auch schon lange nicht mehr gehört, aber freute mich darüber. Und es gab diesmal erfreulicherweise doch einiges an spontanen, kleinen, unangemeldeten sonischen-Setups.
Einige regionale Assemblies sind auch dafür bekannt Musik und Bar dabei zu haben. So beispielsweise in der Chaoszone oder C-Base. Aber auch bei der Chaos West Stage gab es Musik, das habe ich leider nur einmal im Vorbeilaufen mitbekommen. Da ging scheinbar einiges. Die Artes Mobiles hatten diesmal nicht nur Kinoleinwand und Performances dabei, sondern eine eigene Bühne bei der es auch Musik gab:
Die gute Wein- & Schampusbar im CCL gab es auch wieder. Diesmal mit noch besseren Schildern:
Mein Highlight war der Micro Rave, von dem ich nicht weiß, ob er legal oder illegal stattfand und wer dieses Stück partizipativer Kunst abgeliefert hat. Aber ich feiere es und hatte viele großartige Momente. Am ersten Tag gab es noch Nebel, am letzten Tag und wohl nicht nur, wurde die Box quasi life bespielt. Später auch mal nur vom Handy-DJ. Genial. Viele haben die Box gar nicht entdeckt. Aber ich habe mit Sicherheit auch sehr vieles nicht entdeckt.
Auch das kollektive Testing verschiedenster Alkoholika und Cocktailroboter wurde wieder ausgiebig neben den etablierten Bars betrieben.
Freilich besteht der C3 nicht nur aus Musik und Bars. Auch die Kunst hatte wieder einen Bereich für sich, den ich aber auch nie wirklich genau in Augenschein nehmen konnte. Er könnte auch größer sein. Eine gut gemachte Ausnahme bildeten die Graffitis und Wandgestaltungen, die Berliner Writer und Writerinnen in Halle 2 gestalteten. Und zwar auf den Kreuzungen des Rundwegs um die Halle. Dort sind büro-mausgraue Wandelemente für Orientierung und Abgrenzung aufgestellt. Diese zu verschönern ist eine wunderbare Aktion, zumal Graffiti als eine Form des Hackings im Stadtraum verstanden werden muss und gehört auf jeden guten Hacker-Event. Die ausufernd-verspielte Gestaltung von Beamer gefiel mir am Besten:
Sehr gefreut habe ich mich wieder über die Chaos Post und habe dieses Jahr noch mehr Postkarten verschickt.
RCC hatte diesmal einen noch größeren und schöneren Space, den man mit der PK aus München teilte.
Es gab sogar einen Moment der totalen Enspannung. Kurz war er, aber gut.
Bei Haus- und Clustereigenen Beiträgen ging es um Kunst gegen Facebook, Komona als Teil des C3 oder neue Polizeigesetze.
Schade fand ich, dass man die Talks nicht mehr bewerten kann, aber die Fahrplan-Apps sind irgendwie jedes Jahr anders, weil sie weiter entwickelt werden. Und auch, weil es konkurrierende Anwendungen gibt. Komisch finde ich, dass das videodokumentierte Programm, das ja auf ccc.media.de schon bereitgestellt ist, von den meisten scheinbar auf youtube gestreamt wird. Vielleicht, weil man dort bewerten und kommentieren kann? Wie sonst lässt sich erklären, dass man im Nachgang zu einem Congress, wo alternative Anwendungen für das Internet entwickelt werden, diese nicht nutzt? Wenn nicht diese Community welche dann? Weshalb noch das Federated Universe erwähnt werden muss. Diesmal gab es einen eher indirekten Vortrag zum Thema NGI Zero: A treasure trove of IT innovation und in der Chaoszone gab es gleich mehrmals die Präsentation SNAC – The only way to beat Facebook. Aber es gibt noch mehr Präsentationen auf ccc.media zu dezentralisierten Social Media Entwürfen wie Per Anhalter durch das Fediverse in vier Teilen oder Activity Pub, The Fediverse, and Everything.
Dankbar war ich auch für den Anger-Exchange-Point der Haecksen, auch wenn ich wieder nicht zur aktiven Nutzung kam, so konnte ich an der Feierlichen Verlesung des gesammelten Ärgers teilhaben. Hier eine Kostprobe, des eingesammelten Ärgers: „Ein Workshop auf dem Congress heisst ‚no satisfaction without penetration‘, weil es lustig ist! Als ob es nicht schon genug subtile Mackerscheisse im Clubumfeld gäbe. Kotz“. Gut fand ich auch „People (cis-men) use polyamorie as an excuse to get laid more and not deal with the consequences”. Die Haecksen hatten auch ihr 30jähriges Jubiläum gefeiert. Gut, dass es die Haecksen gibt! Gefühlt habe ich kaum etwas gesehen oder gemacht. Und kaum geschlafen – aber die Haecksen legen in ihrer Verlesung nahe, dass dies alles andere als ungewöhnlich ist. Vielleicht ist die Unzufriedenheit darüber die Zeit nicht optimal genutzt zu haben ein Teilaspekt vom C3, wenn nicht sogar von festivalartigen Events überhaupt. Jenseits aller Unzufreidenheiten bleibt der C3 eine wichtige Informationsquelle, die mir das Gefühl gibt für das neue Jahr gut gerüstet zu sein.
Den Wish Tisch hatte ich erst entdeckt, als er schon geschlossen hatte. Trotzdem hier ein paar Wünsche an das C3 Universum. Leider hat mir der einzige Vortrag zu Musik nicht zugesagt, jedoch ist es gut, dass dieser von einer Frau kam und nicht von einem Mann, denn Frauen wurden systematisch aus der Geschichte der elektronischen Musik herausgeschrieben. Ich hoffe daher, dass es nächstes Jahr wieder mehr Vorträge zum Musikthema gibt, auch von Frauen. Mehr Mut zu Ecken und Kanten in der Kuration des Musikprogramms, weniger Weichspüler-Techno. Und mehr Analyse und Kritik zum kognitiven Kapitalismus in digitalen Zeiten, also wo kulturwissenschaftliche, gesellschaftliche, historische und technische Analysen zusammenkommen, und nicht nur nebeneinander existieren. Mehr inhaltliche Arbeit am Commons-Thema. Mehr Beteiligung des C3 an Demos in der Stadt, Aktionen im öffentlichen Raum. Mehr humoristische Interventionen (wo waren sie diesmal? Salzamt wo warst du?). Roller, Räder, Skateboards usw. zum Ausleihen für alle.
Hier ein paar meiner Diskurs-Highlights. Es freut mich, dass heuer noch mehr Frauen unter den Vortragenden waren.
Wie die radikale Rechte (ihre) Politik gamifiziert:
Katastrophe und Kommunikation am Beispiel Nord-Ost-Syrien (Rojava):
BahnMining:
Psychedelic Medicine – Hacking Psychiatry?!:
Art Against Facebook:
Der NSU-Watch Jahresrückblick 2019:
Best of Informationsfreiheit 2019:
Inside the Fake Like Factories:
The KGB Hack – 30 Years Later:
Geheimdienstliche Massenüberwachung vs. Menschenrechte:
Hirne Hacken. Menschliche Faktoren der IT-Sicherheit:
Internet of rubbish // e-waste. A review of the best art & tech projects 2019:
Nach den Protesten gegen die Polizeigesetze ist vor den Protesten gegen die autoritäre Wende:
The Case Against WikiLeaks: a direct threat to our community:
Polizei-Datenbanken und Minderheiten:
Rechter Feminismus in der ‚Identitären Bewegung‘?
Confessions of a Future Terrorist:
Peng Kollektiv – Geflüchtete schmuggeln, Nazis torten, Pässe fälschen:
Welches Betriebssystem hat der Bundestag und wie kann man es hacken?
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