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Thomas Wiczak ist Mitherausgeber des Buches „Das Gedächtnis der Stadt schreiben“. Er war stark beteiligt an wichtigen Berliner Gruppen-Aktionen oder an Aktivitäten von Jazzstylecorner und Mitkurator der Outsides Ausstellung. Während der Arbeit an dem Buch, fiel seine Entscheidung nicht weiter auf der Straße zu arbeiten, nicht mehr seinen Namen zu schreiben, und deshalb „Nichts“ dergleichen zu präsentieren. In seinem Text geht es stattdessen um „Trains of thought“. Gedankenzüge werden be-schrieben, kein Metal. Das Aufhören als existenziellen Teil von Writing zu beschreiben, ist sein künstlerischer Beitrag.
Was versucht das Buch zu zeigen, worum geht es bei Writing Memory?
Das Buch versucht zunächst den Geist des Writings weiter zu ergründen. Was hochtrabend klingen mag, offenbart sich auf verschiedene Art und Weise in jedem einzelnen Projekt; ganz gleich, ob Dokumentation oder Inszenierung. Auch die Essays spielen hierbei eine wichtige Rolle. Das Buch will weniger auf das Berliner Writing blicken, geschweige denn es glorifizieren. Der Fokus lag von Anfang darauf, der Reflektion viel Platz zu geben. Das heißt weniger Tags, mehr Text. Warum sollte ein weiteres Writing-Buch dem visuellen Konsum in dem Maße dienen, wie es die Stadt bereits tut?
Und wenn ich eben von „Ergründung des Geistes“ sprach, so geschieht das eben durch alle Beiträge zusammen. Allerdings ist das Bild dieses Geistes durch das Buch nicht nur auf das Buch selbst zu beschränken. Denn neben der Frage „Was versucht das Buch zu zeigen?“ steht auch „Was kann das Buch zeigen?“. Klar war jedenfalls, dass es wieder ein paar Geister scheiden wird – gerade unter Traditionalisten -, da es über die bloße Präsentation (von Styles etc.) und Dokumentation hinausgeht. Wir wollten möglichst unterschiedliche, dem Writing entspringende oder weiterhin verhaftete Positionen zusammenführen.
Wie kam die gemeinsame Arbeit mit Markus zustande? Warum du und er als Herausgeber-Team?
Wir begegneten uns mit der Gründung von Jazzstylecorner e.V. vor ca. drei Jahren. Unser Bekanntenkreis überschnitt sich teilweise. Ich denke, wir haben uns gegenseitig beim Arbeiten beobachtet, so dass ich wusste, was es bedeutete, als er mich im Oktober 2006 nach der Zusammenarbeit fragte. Die Antwort ist nun in mehrfacher englischer und deutscher Edition erhältlich.
Wieso erschien das Buch nicht beim Gestalten Verlag wie der Vorgänger?
Das allein ist beinahe schon symbolisch. Denn der Fokus des Buches und der des Verlages könnten gegensätzlicher nicht sein, was das Bild/Text-Verhältnis betrifft. Es gab persönliche Verbindungen zum Dokument-Förlag in Schweden und natürlich war dort der Erfolg des Writing-Buches eine gute Referenz. Auch hatten wir klare Vorstellungen über das Buch selbst und seine Entstehungsweise. Wir wussten je weniger Kompromisse wir im Schaffensprozess mit einem Verlag machen müssten, desto besser würde das Ergebnis sein. Und so können wir sagen, dass wir einen Verlag gefunden hatten, durch den wir ohne störende Einflussnahme, sondern vollsten Vertrauens das Buch in aller Ruhe bauen konnten.
Was waren eure Kriterien für die Auswahl der Beiträge? Warum hauptsächlich Berliner – dann aber doch auch einige wenige Nicht-Berliner?
Natürlich ist auch eine Berliner Anthologie entstanden. Aber wer das Buch darauf beschränkt, dem entgeht Einiges. Ich denke, es war schlichtweg unnötig nationaler oder internationaler zu werden. Denn so facettenreich sich das Writing in aller Welt abzeichnet, bleibt City-Writing überall City-Writing. Ich meine, der Writer kriecht und klettert tendenziell nicht anders in Berlin als in Dortmund oder Paris. Die geographische Nähe zu den Teilnehmern war in Bezug auf Kommunikation von Angesicht zu Angesicht sehr wichtig. Außerdem lag das Buch in der Konsequenz und auf einer Linie – gewollt oder ungewollt – verschiedenster früher Berliner Gruppenprojekte. Hierbei kommt sicherlich Jazzstylecorner wieder ins Spiel und ansonsten die im Buch erwähnte teilweise gemeinsame Erfahrung im öffentlichen Raum Berlins. Ein internationalerer Rahmen wäre ein Buchprojekt von völlig anderem Charakter. Anstatt also zu behaupten, ach ja, wieder ein Berlin-Buch, wäre ich gespannt auf Bücher ähnlicher Ansätze aus anderen Städten.
Mare139 und Skki sind hierbei exemplarische Vertreter der europäischen und der amerikanischen Writingkultur, wobei hier speziell auf die Writing-historisch wichtigen Städte Paris und New York. Peter Osten war selbst ein Writer in früheren Zeiten und steht der Bewegung gedanklich sehr nah, was, glaube ich, auch aus seinem Essay entnehmbar ist. Mit Stefan Micheel ist ein im öffentlichen Raum arbeitender Künstler eingeladen, jemand der sich mit ähnlichen Strategien durch das Stadtbild bewegt und seine Arbeiten hinterlässt. Meira Ahmemulic ist Autorin und Künstlerin, die sich im Zuge eines größeren Schreibprojektes von Tags durch die Stadt Berlin leiten ließ und eine andere Art des Lesens und auch Benutzens von Tags repräsentiert. Wobei das Orientieren an Tags Writern vertraut vorkommen sollte.
Worum geht es in deinem Text und worin siehst du deinen Beitrag als Künstler für das Gesamtkonzept des Buches? Für Writing überhaupt?
Mein Beitrag als teilnehmender Künstler weiß natürlich um seine Stellung in Bezug auf das Gesamte. Dennoch ist die Entscheidung „Nichts“ zu präsentieren nicht geplant gewesen, so nach dem Motto „mal sehen, was die anderen machen“. Ich habe eher zugeschaut, wie sich das fügt. Es geht in meinem Beitrag sowohl um das Writing, mit teilweise provozierenden Gedanken, letztlich aber um Gedankengänge an sich. Im Englischen gibt es den wunderbaren Ausdruck „Trains of thought“. Und so (be-)schreibe ich hier Gedankenzüge. So wie ich mich als Reisender zwischen den zwei Städten bewege, tue ich dies im fahrenden Bus wie im Text nicht nur physisch, sondern auch mit Geist und Seele. Ich wollte das Writing in den Kontext anderer, auch persönlicher und hier existentieller Gedankengebäude setzten. Ich habe aber absolut nichts dagegen, dass der Text als eine Liebeserklärung gelesen wird.
Dein Text ist der einzige in dem es gar kein Bild gibt, warum? Wolltet ihr bewusst davon Abstand nehmen, dass ein Buch über Writing auch immer Bilder haben muss?
Während der Arbeit an dem Buch nahm ich innerlich immer mehr Abstand vom Writing als Aktivist, was in der Konsequenz dazu führen musste, dass ich auch nichts davon präsentieren würde. Aber genau dieser Aspekt der Hinterfragung des Writings, die Atmosphäre des Aufhörens oder Aufhören-Wollens scheint mir ein sehr dankbarer Beitrag des Buches, unabhängig von meiner Person. Und ja, das Text/Bild-Verhältnis war eine bewusste Entscheidung in Bezug zum häufigen Übergewicht von Bildern anderer Buchveröffentlichung im Writing- und sowieso Street Art Kontext. Dies liegt zunächst in der Natur der Sache selbst. Ich zitiere an dieser Stelle gerne eine Satz aus einer Video-Arbeit von Lokiss, in der Backjumps-Ausstellung zu sehen war: ‚Graffiti is activism‘. Warum das so wahr zu klingen scheint, liegt am unausgewogenen Aktions-/Reflektionsverhältnis in der Graffitikultur; welcher es an Reflektion eigentlich überhaupt nicht fehlt. Ich denke, es geht hier aber um die ihre Präsentation. Der Austausch von Gedanken und Ansichten findet zum einen in den Werken, durch die Werke selbst statt und somit auf der Strasse oder eben in kleinen Grüppchen und Kreisen. Die Präsentation und Veröffentlichungen von Gedanken, von Studien,… kurz: Dokumente der Reflektion sind rar. So spielt sich die Reflektion zunächst in jedem Akteur selbst, ganz persönlich ab. Und genau das zeigt sich ja bereits in einem Film wie Stylewars. Ohne die verschiedenen präsentierten Gedankengebäude der sprechenden Writer, hätte sich der Geist des Writings nicht in dieser Kraft entfaltet. Neben ein, zwei weiteren Filmen und einer Hand voll weiterer Bücher haben wir eine Art multimediale Writing-Bibel erhalten, von der sich das Grundlegende der Writingkultur ableitet.
Was meinst du genau damit wenn du sagst, dass der Geist des Writing gespalten ist?
Das zeigt sich, glaube ich, genau in dem Buch. Am Buch selbst scheiden sich die Geister. Wenn das Writing-Buch zuvor klar in die Rubrik „Writing“ hineinpasst, so tut man sich beim raschen Durchblättern des Memory-Buches da sicherlich schwerer. Doch wer sagt überhaupt, dass unser Buch ein Buch über Writing ist. Es veranschaulicht viel mehr, wofür das Writing als kreative Quelle dient, wohin und zu was es führt, führen kann, wenn man als Writer beginnt über seinen eigenen Horizont zu schauen. Nehmen wir zum Beispiel allein den Punkt, dass sich dem Writer die Stadt als solches gänzlich anders eröffnet als jemandem, der jeden Tag in sein Büro geht oder einem Schriftsteller oder Sportler oder Musiker und so weiter … das Aneignen der Stadt, welche für das Writing von existenzieller Natur ist. Was sich letztlich in der Formulierung verbirgt „der Geist des Writings ist gespalten“, meint nichts anderes, als dass sich der Writing-Begriff in die jeweiligen Standpunkte seiner Aktivisten und Betrachter, wie der Beobachter der beiden aufteilt. So ergeht es Begrifflichkeiten im Allgemeinen. Ich muss hier allerdings erwähnen, dass ich beispielsweise eine Diskussion darüber, was Writing ist und was nicht, persönlich für Zeitverschwendung halte. Ich denke auch, dass unser Buch kein Writing-Buch ist, sondern unterschiedliche künstlerische Positionen präsentiert – oder die fortdauernde Suche danach – welche ihre Wurzeln im Writing haben.
Was ist „geistliches Verhalten“ in diesem Zusammenhang?
Im Text spreche ich ja von weltlichem und geistlichem Verhalten. Was hier angedeutet, aber nicht weiter ausgeführt ist, dass es Aktivisten gibt, die – wie der Begriff es schon sagt – ein Writing betreiben, das sich in der Realisierung eines Pieces o.Ä. begnügt, auf die damit einhergehende Aktion und das sichtbare Ergebnis und schon unsichtbare Erlebnis am Ende. Und dann gibt es eine ganz andere Strömung, die in die Natur der Sache, also des Writings hineindringt, die studiert, ausprobiert, sich anderen Ausdrucksmöglichkeiten öffnet und dem Geist des Writings auf den Grund gehen will. Dies muss zu anderen Positionen führen, aber sich nicht vom Writing selbst spalten, es aber expandieren, in einem inspirierenden Sinne. Und was hier vielleicht verkopft klingt, passiert ja auch in der Tat. Wer danach sucht, der wird auch fündig werden.
Was ist für dich ein fruchtbarer Boden für die Writingkultur?
Das ist eine recht komplexe Frage. Ich glaube, ein Film wie Stylewars oder Station of the Elevated bieten hilfreiche Inspiration bei der Antwort solch einer Frage.
Wie fandest du Ausstellungen wie Backjumps oder Planet Prozess? Welche Versuche/Konzepte von Graffiti im Kontext von Ausstellungen findest du geglückt, welche gescheitert?
Um ehrlich zu sein, hat mich beides nicht überzeugt. Die 3. Backjumps erschien mir als ein ohnmächtiger Rückschritt. Auch in kuratorsicher Hinsicht empfand ich das Verhältnis von Raum und Werk problematisch. Und wie zuvor waren sicherlich Workshops und Spaziergänge, also alles, was sich außerhalb des Gebäudes abspielte, das Wichtigere und Spannendere. Ich will hier die eine oder andere Diskussionsrunde nicht ausschließen. Ich erinnere mich allerdings gern an Blu´s Arbeit, die vielleicht beinahe fehl am Platz war. Planet Prozess habe ich zuwenig erlebt, kann aber trotzdem sagen, dass ich es auch nicht als kraftvolles Ereignis in Erinnerung habe. Dennoch sind die Ausstellungen nicht unwichtig gewesen. Ich denke, dass sie wiederholt aufzeigen, dass sich die Kraft des Writings und der Street Art in Galerie- und Museumsräumen als tot erweist. Selbst alternative Ausstellungsorte scheinen nichts zu nützen. Insofern hatte Planet Prozess sicherlich das spannendere Konzept, da hier das Prozesshafte selbst Programm gewesen ist – City of Names verhalf hierin fundamental der 2. Backjumps zu ihrem Erfolg. Aber hätte man es deswegen wiederholen sollen?
Ich habe noch keine „geglückte“ Ausstellung gesehen, aber es gab und gibt sicherlich interessante Versuche, die mir unbekannt geblieben sind. Die Frage ist, inwiefern mir es als Künstler überhaupt nützt, der ich ja bereits im öffentlichen Raum ausstelle, in irgendwelche Räumlichkeiten hineinzugehen; dann noch in Verbindung mit den dortigen Gesetzen und Präsentationsformen. Stimmt die Richtung überhaupt? Von Draussen nach Drinnen. Und überhaupt kann man sich fragen, ob nicht jede Inszenierung einer Writing- oder Street-Art-Ausstellung bereits eine Sackgasse ist. Eine unnötige, die Natur der Sache entkräftende Angelegenheit, da Writing und Street Art das Ausstellen und Sich-zur-Schau-stellen bereits in ihrer Existenz voraussetzen und beinhalten. Und die soziale Dimension, die diese Gestaltungskulturen durchdringt und ihre Kraft seit eh und je mitbestimmt, ist schon gar nicht in das Museum zu holen. Der Versuch muss misslingen. Vielmehr ist das Ausstellen innerhalb von vier Wänden spätestens seit den 80ern schon immer Teil der Kultur gewesen.
Was ist die Seele von Graffiti – speziell von deinem Graffiti?
Da fallen mir zwei Zitate ein. Das eine kennen wir jetzt schon: ‚Graffiti is activsim‘. Das andere kennen viele sicher noch viel besser, inklusive seiner Melodie: ‚It´s for us!’*
Die sogenannte „Seele“ meiner letzten Arbeiten kann vielleicht am ehesten so beschrieben werden: It´s for you! Inklusive eines „It´s for me“ – was im „It´s for us“ mündet und dennoch für sich steht – im wahrsten Sinne des Redewendung (* Writer Skeme_one in dem Film „Stylewars“).
Wie wichtig ist dir noch das Schreiben von Buchstaben/Namen (Stylewriting)?
Ziemlich unwichtig mittlerweile. Mein Urteilsvermögen ist natürlich nicht abgestorben, bleibt aber auch nur eine von unzähligen Stylebotschaften.
Wieso der Text von Mare 139, warum ist der in diesem Buch?
Neben Skki wollten wir einen Vertreter des New Yorker Writings zu Wort kommen lassen. Wie sich das ausdrücken sollte, war freigestellt, was man an Skki´s Beitrag erkennen kann. Dies war eine Entscheidung innerhalb der Konzeption des Buches: New Yorker Gedankengut umgeben von europäischem Gedankengut.
Mare 139 sagt: „Die Bewegung…wird immer mehr erforscht, erklärt und mit chirurgischer Präzision auseinander genommen werden, um ihre DNA zu verstehen“, um zu begreifen was wir tun und taten“. Findest du diese intensive Erforschung und Dokumentation, von Graffiti wichtig oder eher überflüssig? Warum?
Mare spricht ja hier eigentlich die Reflektion des eigenen Tuns an, und dies ist sicherlich alles andere als überflüssig. Aber ist hier ein bisschen die Frage, wer forscht und dokumentiert. Es sind ja mehr Leute am Writing interessiert als Writer selbst. Hier fällt mir dann zunächst ein Satz von Joachim Penzel aus dem Buch ein: Die Graffitieuphorie der Intellektuellen ist jedoch längst verflogen. Zu Beginn des Buches dachten wir auch Professoren verschiedener Gattungen mit ihrer Sicht einzuladen. Dies stellte sich allerdings als unnötig heraus, was die Qualitäten und das Potenzial der jetzigen Texte im Buch bestätigt. Wenn Erforschung durch Writer passiert, kann das, meine ich, nicht falsch sein und zu interessanten, bis teilweise nötigen Ergebnissen führen – gerade in historischer Hinsicht. Aber auch im Studium der Kalligrafie. Ansonsten fällt mir hier auch gern das zuletzt erschienene Buch von Peter Michalski ein. Das Gedankengut aussenstehender Intellektueller bleibt meiner Meinung nach für das Writing eher unwichtig. Der Writer hat selbst die Möglichkeit, sich mit der Sprache solcher Text vertraut zu machen und sich somit die Fähigkeit der Selektion anzueignen, ihnen das Nützliche zu entnehmen. Was die Dokumentation betrifft, so befinden wir uns definitiv in einem Überfluss, voller unnötiger Beiträge. Allerdings liegt das Dokumentieren von Arbeiten in der Natur der Sache selbst, und auch der Austausch davon. Coco144 sagte einmal: Writers want to meet each other. Ich glaube, man kann sich das so vorstellen: in diesen überfließenden Sturzbächen der öffentlichen Dokumentation wird man mit etwas Geduld auch auf Goldstücke treffen.
Mare sagt außerdem, dass er sich mit seiner Arbeit heute in einem unerforschten Raum wieder findet. Kannst du erklären was er damit meint? Geht es dir auch so?
Hierzu muss man sicherlich seine neuen Arbeiten kennen. Er ist im skulpturalem Bereich beschäftigt, sowie neuerdings in der Malerei. Diese Gebiete sind für ihn unerforschtes Terrain, unerforschter Raum. Mit Begrifflichkeiten wie „Orte und Nicht-Orte“ hat das, denke ich, weniger zu tun. Das ich mich „heute in einem unerforschten Raum wieder finde“, kann ich so nicht sagen. Das Schaffen neuer Arbeiten gedeiht und wächst, wie in einem Garten, in dem ich meine Tätigkeit als Gärtner mehr und mehr verstehe wahrzunehmen.
Warum denkst du hat Berlin diese besondere Rolle für Graffiti in Deutschland oder sogar Europa? Hat es wie Mare sagt, mit den besonderen sozialen Verhältnissen (der Ost/West Konstruktion) in Berlin zu tun?
Zum einen ist da sicherlich das Ereignis der Berliner Mauer. In welcher Stadt hat sich eine Mauer geöffnet, nach dem sich Writing in einer Hälfte bereits ca. 5 Jahre hatte entwickeln können und dann konsequenterweise auf die gesamte Stadt ausdehnen musste. Es gab, glaube ich nicht viele West-Berliner, die zur Maueröffnung sofort in die andere Hälfte der Stadt wollten. Für manchen Writer wäre solch ein Ereignis sicherlich ein Traum. Ansonsten ist Berlin als Metropole ja kreativer Motor, Vorreiter und Attraktion in vielen Bereichen. Und natürlich sind es auch die sozialen Verhältnisse. Außerdem hat die Stadt seit Jahren kein Geld für eine radikalere Graffitibekämpfung. Der Street Art Hype hat zusätzlich für einen höheren Toleranzgrad gesorgt.
Was ist die unsichtbare Stadt? In Bezug auf Graffiti?
Die unsichtbare Stadt ist die, die sich hinter bzw. vor der sichtbaren bewegt. In Bezug auf das Graffit-Writing sind es Gedanken und die Triebe – mir fällt hier kein besseres Wort ein – die zum Hinausgehen oder Wiederholen ein und desselben Wortes führen. Das meine ich allerdings nicht psychologisch. P. Vecor Codierer fragt zum Beispiel in seinem Text sinngemäß: Wie sähe die Stadt aus, in der alle stattfindenden, imaginären Projektionen sichtbar wären? Diese Frage ist Teil des Bildes der unsichtbaren Stadt, genauso wie Christian Schellenbergers Satz: Es geht immer um Ansammlung, Stauung und Entladung von Energie. Von der sichtbaren Welt des geschriebenen Buchstaben führt ein Faden hin zur unsichtbaren, eigenen inneren Welt, meint Bus126. Und Matthias Wermke schreibt, dass ihn manche Orte nicht mehr loslassen. Und dieses Nicht-loslassen-können, diese Kraft der Anziehung, etwas das im eigenen Innern zu liegen scheint, ist nicht sichtbar. Der Liebesbrief von Daniel Tagno an Cost ist ein weiterer Einblick in diese Stadt.
Was sind Metatags? Arbeitest du auch mit Metatags?
Ich persönlich halte mich da raus. Aber Peter Osten spricht hier von einer Ausweitung bzw. Ausdehnung des Wirkungskreises eines Writers bzw. des Writings in zum Beispiel die Werbung oder die Kunstwelt. Soweit ich es verstehe, geht es um Übernahme oder Einnahme fremden Gebietes, hierin genauer um Strategie und Bewusstsein. Da ich mich davon verabschiedet habe, ist mir diese Überlegung und auch Realisierung dergleichen herzlich egal.
„Graffiti artists are really bad in politics“, sagt Skki. Gibst du ihm recht, falls ja warum?
Ich glaube, Interesse wie Desinteresse an Politik schlägt sich im Writing nicht anders innerhalb der Generation wieder als außerhalb des Writings. „Graffiti Artists“ erscheint mir eine austauschbare Variable in diesem recht nichts sagenden Satz. Der Spruch könnte auf einem Männerklo gekrakelt sein. Ein Graffiti-Spruch im Volksmund. Vielleicht ging es ihm auch genau darum.
Wie wichtig sind dir die nicht-kommerziellen Aspekte am Writing?
Wenn man dem Writing begegnet und damit auf-, dahin hineinwächst, ist es ziemlich wichtig, aber heutzutage ist jeder Writer sofort eingebunden in ein gut funktionierendes Wirtschaftssystem, was das Writing und die Kultur darum herum betrifft, ob er das versteht und wahrnimmt oder nicht. Hierin sind konsequenter- und wahrscheinlich auch notwendigerweise neue Beziehungsgefüge entstanden. Wobei man sagen muss, dass ja in vielen die Kultur supportenden Firmen selbst noch aktive oder meist ehemalige Mitglieder der Kultur sitzen. Fakt ist, wer etwas größeres Organisieren will, brauch Unterstützung. Manch einem mag das Folgende missfallen: Graffiti-Writing hat ja einen Marktwert, nicht nur in der Kunst. Das fließt zusammen mit der sogenannten Street Art. Das ist, wie es ist, bleibt bestehen und war absehbar. Peter Osten sagt in seinem Text: dass einige Positionen innerhalb des [Graffiti-]Writings den Glauben an die souverän ästhetische Kraft zu verlieren scheinen. Ich denke, hier ist der ausschlaggebende Punkt, sich recht bald bewusst positionieren zu müssen gegenüber den heutigen Verhältnissen. Vor 15 Jahren gab es diese Problematik nicht in dem Maße. Und niemand hätte für möglich gehalten, dass Wandarbeiten aus Wänden gerissen und für Hunderttausende von Dollar verkauft werden könnten. Was hier einige sicherlich als schrecklich ansehen, halte ich für eine recht bemerkenswerte Entwicklung. Es ist Realität, dass die Tags einiger Leute, ihnen die monatliche Miete einbringt und sogar mehr.
Peter Osten findet das Writing mehr Raum erobern sollte, so auch das traditionelle Kunst-System oder den Raum der Werbung. Was denkst du darüber?
Da muss ich zunächst auf eben verweisen, und zwar, dass ich dem recht gleichgültig gegenüberstehe. Ich kann schlichtweg die Wichtigkeit der Notwendigkeit dieser Eroberung nicht erkennen, die seiner Überlegung innewohnt. Ich halte das sich dahinter verborgene Prinzip des „Wie-du-mir-so ich-dir“ auch für fragwürdig.
Warum wollen die Writer überhaupt in die Kunstszene? Mal ehrlich, eigentlich ist sie doch total fürchterlich. Ich fand die Kunstszene immer abstoßend – die Writing/Streetart Ausstellungen hingegen waren immer anders und viel angenehmer. Ein Unterschied der sich vermutlich auflösen würde, wenn man akzeptierter Teil des Ganzen wird…
Warum das bei vielen, aber längst nicht allen, so ist, weiß ich nicht. Sicherlich zieht immernoch die Aura des Ruhmes. Aber die Kunst ist ein zu großes Gebiet, als das man es auf abstoßende Szenarien in Galerien und Museen beschränken könnte. Aber vielleicht liegt hier auch schon ein entscheidender Punkt. Es scheint bei Writing/Streetart-Ausstellungen oftmals nur um den Event der Ausstellung selbst zu gehen, um eine „angenehme“ Stimmung. Ich meine, das Zusammenkommen und Treffen von Writern oder Street Artisten in einem öffentlich, bzw. gesellschaftlich akzeptierten Rahmen wie der einer Ausstellungseröffnung ist immer noch von ganz anderen Charakter aufgrund des Faktums der Anonymität. Das Unding in einem Film wie Stylewars ist doch nach wie vor, dass die Personen hinter den Graffiti-Arbeiten im Film oder mit dem Film nicht verschwinden und ohne Bedenken in die Kamera plaudern. Und trotz aller Versteckspielerei scheint es ja auch eine Sehnsucht danach zu geben mit dem interessiertem Publikum der Stadt in Kontakt zu kommen. Ansonsten denke ich, dass Writing und Street-Art schon längst akzeptierter Teil des Ganzen sind.
In eurem Buch wird es streckenweise auch sehr spirituell – bei BUS oder bei Meira. Sie sagt: „Die Wiederholung im Writing ist wie ein Gebet“. Was denkst du darüber?
Wenn das Tag ein Gebet wäre, was wird hier angebetet? Ich glaube, Meira´s Frage ist eine Tür. Sie wird in ihrem Text aber nicht aufgestoßen. Obgleich sie in die so genannte unsichtbaren Städte führt. Wobei man hier unterscheiden muss zwischen dem, was sich im Sichtbaren vollzieht, dem Schreiben des Tags und dem, was im Unsichtbaren – zuvor – geschieht. Denn was das Wiederholen eines Tags auslöst, ist nicht sichtbar. Man möge es Trieb nennen oder Verlangen, wie auch immer, jedenfalls ist das nicht sichtbar. Dennoch bekomme ich den Begriff „Gebet“ nicht so gut zusammen mit der „Wiederholung im Writing“. Ich glaube, darauf besser antworten zu können, bräuchte es ein wenig mehr Zeit.
Im vorletzten Text geht Dr. Penzel mit Graffiti hart ins Gericht. Er behauptet Graffiti sei eine gute Vorbereitung für den Egokrieg des Kapitalismus? Spiegelt oder fördert Writing tatsächlich das Wesen des Kapitalismus?
Graffiti-Writing als Initiationsritual des Kapitalismus. Ich glaube kaum, dass es das Wesen des Kapitalismus fördern könnte, allerdings kann ich seiner Argumentation folgen, dass sich elementare Charakterzüge des Kapitalismus im Writing wieder finden lassen. In seiner Rede ist es natürlich nützlich den Graffitikünstler allgemein als jemanden zu beschreiben, der glaubt, den Kapitalismus mit seinen eigenen Mitteln schlagen zu können. Die Realität zeigt ein anderes Bild. Er schreibt genau: Graffiti entspricht letztlich einer Tautologie von Privatisierung, Einverleibung und Aneignung und betreibt damit einen Affirmation der kapitalistischen Wirtschaftsverhältnisse. Im ersten Teil kann ich ihm folgen, doch halte ich im zweiten Teil ich das Wort „Affirmation“ – also von Zustimmung oder Bejahung – für fehl am Platz, da es den Writern einen vielleicht gut gemeinten, aber meiner Meinung nach, nicht vorhandenen Bewusstseinsgrad voraus setzt. Das Graffiti-Writing im Stadtbild lebt, liegt vor allen Dingen und zu, sagen wir, 80% an jugendlichen, pubertären, an Politik nicht im weitesten Interessierten Writern. Und ich behaupte, dass sie nicht einmal wissen, was das Wort „Affirmation“ überhaupt bedeutet. Und das ist hier nicht wertend gemeint, sondern ganz einfach analytisch. Und man kann nun sicherlich die Grundzüge kapitalistischer Wirtschaftsverhältnisse in der Bewegung des Writings wieder finden. Ich glaube allerdings, dass diese Überlegung nicht weit führt, wenn nicht sogar uninteressant ist – provokant auf den ersten Blick allemal. Ich denke, dass Writing ein Mittel ist, sich seine Stadt bzw. Umwelt einzuverleiben, zu entdecken und anzueignen. Der Writer ist letztlich ständig damit konfrontiert, obwohl mit einem Piece vermeintlicher Besitz einer Stelle proklamiert wird, dass ihm doch nichts davon gehört. Aber hier gehen wir wieder in das Wesen des Writings hinein und jetzt hier weiter zu machen, würde zu weit führen und auch zu lange dauern.
Muss Graffiti sich überhaupt mit dem Kapitalismus auseinandersetzten?
Muss!? … Muss man sich überhaupt mit irgendwas auseinander setzen? Ich denke, es ist gut so früh wie möglich eine Position zu haben und diese dann auch zu beziehen. Eine Position zu besitzen, ist auf die Dauer mehr wert als hunderte von Arbeiten auf Zug und Wand.
Ist Graffiti am Ende oder steht Graffiti vor einem Wandel, wie Penzel es prognostiziert? Im Kontext der Auftragsarbeit am Waisenhausring in Halle. Penzel schreibt über die Tragik von Graffiti. Graffiti will eine Kritik sein, aber gleichzeitig bleibt es innerhalb des kapitalistischen Systems und seiner Zeichenökonomie, arbeitet selbst mit symbolischem Kapital wie Aufmerksamkeit oder dem symbolische Abstecken von privaten Claims. Deshalb folgert er, Graffiti muss sich verwandeln oder es stirbt. Welche Veränderungen sind notwendig?
Es ist schon etwas merkwürdig, wenn jemand Aussenstehendes über das Graffiti-Writing schreibt und zu dem Schluss kommt, es müsse sich verändern – oder es stirbt. Ich kann so ehrlich gesagt nicht denken. Das ist mir etwas zu sehr im Kopf, es mag sicher seine verstandesmäßige Logik besitzen, bleibt aber ein gedankliches Spiel. Ich glaube, dass Reflektion, Bewusstsein sowie Souveränität des Writings selbst, mehr genährt werden könnten. Jazzstylecorner war hier ein Beispiel, dass ich aus nächster Nähe miterlebt habe. Es zeigt allerdings auch, dass – wie immer – es hier Vorreiter brauch. Das Buch, dass wir jetzt gemacht haben, ist ein Versuch bzw. ein Beitrag und Vorschlag. Auf der anderen Seite lebt das Writing von seiner offenen Struktur. Es scheint sich am besten als ein Organismus fortzubewegen. In dem Moment, wo versucht wird, etwas dauerhaft zu organisieren, wehrt sich dieser Organismus. Ich finde nicht die rechte Formulierung, aber mir kommt es so vor, als würde jeder langfristige Organisationsversuch dem Writing die Kraft nehmen. Wir können vielleicht von einem wilden Netzwerk sprechen, dass nicht weiß, wie es funktioniert und das kollektiv und intuitiv voranschreitet. Ich meine, Writing hat keine Vision, will und braucht vielleicht auch keine.
Wer als Künstler die Normen des Systems akzeptiert, kann dem System nicht entkommen, sondern wird absorbiert, wird zum Trendscout, sagt Penzel in seinem Beitrag. Er meint, jegliche Beteiligung am Kulturapparat ist schon Hingabe an den Kapitalismus. Er sagt, nur mit einer konsequenten Ethik der Kollektivität, sei dem Kapitalismus beizukommen. Graffiti braucht deshalb eine neue ästhetische und soziale Qualität. Was glaubst du?
Ich glaube, diese Qualitäten gibt es. Nur sind sie nicht so offensichtlich. Dies passiert zum einen im Kleinen und Verborgenem und kann andererseits aus der Sicht eines Außenstehenden nicht so einfach gefunden werden. Welchen Überblick hat der Autor dieser Sätze? In seinem Bereich möge er eine Autorität darstellen, innerhalb der Writingkultur werden solche Aussagen nicht zu ihrer Entfaltung kommen. Die Forderungen klingen ja ganz fein, aber sie bleiben in sich selbst stecken. Es entspricht dem Denken des Writers in der Masse nicht. Es ist ähnlich wie mit Aussagen eines oft zitierten Baudrillards. Es ist so, als würde jemand am Ufer stehen und irgendetwas rufen, dies betrifft den Fluss, die Fortbewegung des Writings nicht.
Was sind deine kommenden Projekte? Womit beschäftigst du dich momentan in deiner Arbeit? Wo willst du als Künstler (mit einer Writing Vergangenheit) hin?
Mit meiner Writing-Vergangenheit will ich nirgendwo hin. Ich verleugne sie natürlich nicht. Aber sie bleibt ein abgeschlossener Bereich. Was davon übrig bleibt, sind Sichten auf die Stadt, die Bereitschaft eher ein Gleisbett zu überqueren als andere. Kurzum, es wird sich zeigen. Zunächst nimmt der Text im Buch vorweg, dass ich an visuellen Ergebnissen weniger interessiert bin. Ich schließe das natürlich nicht aus, aber der Fokus liegt seit langem schon auf dem Hörbaren. Die Musik als solches hat mein Writerleben schon immer begleitet. In den letzten zehn Jahren hat sich das verstärkt in der Improvisation offenbart. Wobei die Improvisation, wozu auch die Intuition gehört, die für einen Writer sehr wichtig ist und trainiert wird. Mit meiner Stimme werde ich mehr umgehen. Man wird von mir hören, wenn es an der Zeit ist.
Interview: Bianca Ludewig 2007/2008
Fotos/Bilder: Thomas Wiczak, Nick, Skki, Spair, Matthias Wermke, Wilhelm Klotzek, Akim, Bus 126, Konrad Mühe
Gekürzt erscheinen in Non Stop #22, Sommer 2008