Wholetrain – Interview mit Florian Gaag

 WHOLETRAIN 

Dank Wholetrain gibt es jetzt den ersten realitätsnahen Spielfilm über Graffiti in den Kinos, der auf breite Akzeptanz hoffen kann.
Er ist so nah an der Wirklichkeit, dass er den Writern ein enges Korsett schnürt, dass aber den gängigen Klischees entspricht, eben weil auch sie wahr sind. Dafür werden keine weiteren Mythen gestrickt. In diesem Sinne ist es ein sehr europäischer Film, das reizvolle an europäischem Graffiti zeigt der Film aber nicht. Sondern, dass es weiterhin international schwierig bleibt erwachsen zu werden – und was an Deutschland und den Deutschen nervt.

Beaware: Wie nahe an der Realität beurteilst du deinen Film?
Florian Gaag: In manchen Teilen überhöht er vielleicht etwas. Dadurch, dass wir die Szene so offen mit Bench und allem drum und dran gezeigt haben. In der heutigen Realität gehen die Writer ja nicht mehr so viel in die Öffentlichkeit, aber es war mir wichtig, dieses Moment in der Kultur rauszugreifen, wo die Sache noch offen gelebt wurde und nicht wo die Leute nur noch paranoid zu hause sind. Deshalb bildet es vielleicht nicht die bundesdeutsche Gegenwart ab, aber Richtung Osten läuft es schon noch so.

Viele der Darsteller verhalten sich ja recht unreflektiert…
…das ist auch gut so, denn darum ging es mir. Nicht um die Retrospektive, wo man als ‚elder statesman‘ auf die Kultur zurückblickt, wo man dann auch reflektiert und vielleicht auch eher Post-Graffiti macht, sondern um den Moment, wo die Kultur noch roh und unreflektiert ausgelebt wird. Ohne drüber nachzudenken rausgehen und seinen Namen schreiben.

Wieso überhaupt Graffiti, wie ist da dein Bezug?
Ich habe 1984 angefangen zu malen….

…..wieso hast du aufgehört?
Einer der Gründe war, dass ich öfter heftig erwischt wurde und dann hatte ich eine ganze Latte Zahlungen, die mich bis vor kurzem verfolgt haben.

 

Das ist ja auch im Inhalt des Films verarbeitet….
Ich dachte mir immer, es fehlt ein Spielfilm der das Niveau von Wildstyle überschreitet, indem er das Thema aus einer realistischeren Perspektive nochmal aufgreift.

Bist du auch für den Soundtrack verantwortlich gewesen? Wie kam es zur Zusammenarbeit mit Grand Agent, El Da Sensei, Planet Asia, Afu-Ra, O.C. & KRS-One?
Ja, ich habe die Songs exklusiv für den Film gemacht. Ich habe fast alle Instrumentals geschraubt, nur zwei sind nicht von mir. Es musste dann alles plötzlich ziemlich schnell gehen und die Tracks mit Lyrics aus dem Boden gestampft werden: alle MCs kontakten, Verträge machen, nach New York und LA fahren…Aber es hat dann funktioniert, weil die Rapper alle bock hatten.

Ist die Musik nicht auch nominiert worden?
Es gab sechs glorreiche Vornominierungen, so auch für die Musik, aber davon ist jetzt nur eine übrig geblieben, nämlich für die beste Tongestaltung.

Hörst du selber Rap-Musik? Hast du noch Schallplatten?
Ja, obwohl mein Hintergrund Funk & Soul ist. Ich habe eine große Plattensammlung – habe aber auch immer Rap gehört, eigentlich seit es Rap hier gab!

 

Welche Probleme hattet ihr mit Genehmigungen, Drehorten etc – und wie sind die Sprühszenen dann letztendlich, besonders an den Trains, zustande gekommen ?
Wir wollten es natürlich in Deutschland machen, aber es war klar, dass uns alle blocken würden und die Bahn war auch so wie wir es eingeschätzt hatten: am Telefon haben sie gedroht allen europäischen Verkehrsbetrieben Bescheid zu sagen, damit da in keinem Fall etwas entstehen kann. Wir waren dann in Budapest, wo wir schon eine Zusage hatten und in letzter Sekunde doch noch die Absage kam. Das ist uns dann in Prag nochmal passiert. Und in Warschau hat es letztendlich hingehauen. Es war eine einjährige Suche.

Es gab doch sicher noch mehr Probleme?
Die Finanzierung hauptsächlich. Keiner wollte sich mit dem Thema die Finger verbrennen. Jetzt werden wir ja von öffentlichen Geldern, vom ZDF finanziert und das finde ich auch richtig so. 83/84 haben die ja auch Wildstyle mitfinanziert, ohne sie hätte es auch Wildstyle nicht gegeben. Es war für viele ein zu schwieriges Thema, es wird von vielen nicht als Kultur erkannt oder eben abgelehnt.

 

Wholetrain hat ja Potenzial zum Horror-Film für Eltern, speziell durch das Ende…
Ich bin kein politisch-korrekter Filmemacher. Es ist eine Momentaufnahme im Leben von vier Jungs. Aber es gab auch Beschwerdebriefe von aufgebrachten Eltern und Herrschaften die es unverantwortlich fanden.

Warum hast du die Writer gewählt, die jetzt dabei sind?
Zum Teil sind wir seit Jahrzehnten befreundet und ich schätze sie als Menschen – und auch als Maler. Ich bin auch Fan von WON und NEON. Und Roger Reckless der die Cutz für die Tracks gemacht hat, der hat ja auch mitgespielt. Es gab schon so eine Kerntruppe aus München.

Ihr habt ja unglaublich viel gecasted, warum? Mit Wildstyle oder Moebius 17 gibt es ja auch gelungene Beispiele in denen die Writer sich selbst spielen….wonach habt ihr gesucht?
Ich wollte schauspielerische Qualitäten. Ich wollte dass der Film von den Darstellern glaubwürdig rüber gebracht wird. Und ich habe auch viele Writer gecastet, die aber vor der Kamera, nicht so gut waren wie an der Wand. Und wir haben auch in der Szene gesucht. Aber es hat auch viel mit dem Misstrauen der Szene zu tun. Bevor viele wissen worum es geht und was da kommt sind sie erstmal ablehnend – daran hat es auch gelegen, dass es soviele Zögerer und Abwarter gibt.

 

Richtet sich der Film denn direkt an die Szene oder an Eltern, Lehrer, den durchschnittlichen Kinobesucher?

Gaag: In erster Linie sollte der Film den Writern Spaß machen. Aber es sollte auch kein Ghetto-Film werden. Er sollte nicht übertrieben erklärend sein, aber auch für Außenstehende verständlich. Es war mir schon wichtig zu zeigen, dass da auch Menschen hinter stehen, die sich einen Kopf machen, sich hinsetzten und zeichnen – dass es eben nicht nur ein stupider Zeitvertreib ist.

Was wünscht du dir für Graffiti?
Ein langes leben, eine Zukunft. Diese Grenzbereiche wie Grafikdesign oder Kulturindustrie – die haben sehr stark auf Streetart gesetzt und so kommt ein Gefühl auf, als wäre Graffiti, das klassische Writing, ein alter Hut. Jeder kann jetzt seine reflektierte Streetart ausstellen und ich finde das schade, dass dieser Kerngedanke und die Wertschätzung dafür in der öffentlichen Meinung so untergehen. Es würde mich freuen wenn da nochmal jemand die Augen aufmacht.

Aber Post-Graffiti war ja auch eine Reaktion auf die sich verschärfende Strafverfolgung…
Ja und ich finde auch das gut, aber wenn jede Frauenzeitschrift das neuste Streetart-Buch featured und das ganze als Evolution feiert, finde ich das schade. Es würde der Allgemeinheit nicht schaden, sich das Thema nochmal genauer anzuschauen, ohne immer zu versuchen es an den Kulturbetrieb anzuschließen.

Wie stehst du der Filmszene und Filmfestivals gegenüber?
Überhaupt nicht. Ich bin sehr interessiert an Filmen, aber es ist auch viel leerer Quatsch beim Film dabei. Mir ist diese Welt zutiefst fremd.

 

Was hast du bisher beruflich oder privat für Projekte gemacht, die in diesem Kontext relevant sind?

Ich bin in einem Nest an der tschechischen Grenze geboren und bin dann nach München gekommen und da aufgewachsen. Dann kam ich auf Umwegen nach New York und habe da an der Filmhochschule studiert, da bin ich fünf Jahre geblieben und habe dort im Rahmen meines Studiums an einer Doku über die Pioniere die Ende der sechziger Anfang der siebziger das Graffiti-Ding aus der Taufe gehoben haben, gearbeitet. Die Old-Old-School-Writer. Damit bin ich auf Umwegen beim ZDF gelandet und da hatte ein Redakteur Lust das zu unterstützen. Da ich zeitgleich an einem Spielfilm, Wholetrain, gearbeitet hatte, habe ich ihm auch dieses Manuskript gezeigt. Wir haben dann gedacht, dass dies erstmal leichter zu finanzieren wäre. Vier Jahre später haben wir dann gemerkt, dass das nicht der Fall war.

Wie gehts nun weiter? Was wird aus deinen Plänen für die Doku?
Ich habe jetzt doch noch ein Angebot für meinen Dokumentarfilm über die Old-School Writer bekommen, das muss ich mir überlegen. Und ich habe vor allem Bock wieder mehr Musik zu machen. Der Soundtrack steht im Dezember an. Mit den beiden Hauptdarstellern ist noch ein Track geplant, die sind ja auch musikalisch aktiv, Florian Renner und Mike Adler, das sind Berliner MCS, vielleicht gibt’s dann noch einen deutschen Track. Die DVD ist für März 2007 geplant.

 

Erzähl uns von dem geplanten Buch…
Es soll kein abgedrucktes Drehbuch werden. Es soll eine Mischung werden. Mit Writing-History – wir hatten ja ein interessantes Lineup: Pure ist TFP-Member, Neon und Cemnoz waren auch in New York und wurden TFP-Member und so soll etwas Writing-Geschichte von New York bis München erzählt werden. Dann gibt es ein Making-Off zum Film, wo man einen Einblick in das Filmemachen bekommt und einem dann auch mal ein paar Sachen erklärt werden. Als ich in NY studiert habe, gab es sehr viele Film-Bücher und man kann sich selbst weiterbilden. In Deutschland gibt es das nicht. Es herrscht eher eine wir-lassen-dich-nicht-teilhaben-Kultur. Ich würde über das Buch gerne vermitteln, wie man da ran gehen kann, falls man mal daran gedacht hat selbst Filme zu machen. Zu jedem Writer soll es ein eigenes Feature geben, eine Art Portrait. Es soll eher ein Bildband als ein Textbuch werden.

Wird Graffiti denn weiterhin in deinem Leben eine Rolle spielen? Oder war das so eine Art Finale oder Schlussstrich?

Gaag: Nein! Ich interessiere mich nach wie vor für alles, was damit zu tun hat. Davon kommt man nicht mehr weg. Das ist das Los eines Ex-Writers: Ich bereise keine Stadt, ohne abzuchecken was an den Wänden geht und ich werde auch sporadisch noch Bilder malen.

 

www.wholetrain.com

Das Interview ist vom Sommer 2006, erschienen im Non Stop Magazin #20.
Fotos: wholetrain.com

Autor: Bianca Ludewig

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