Unsafe+Sounds Festival – Politics of Immediacy: 23.09.-1.10.2022 Wien, Zacherlfabrik & Werk

UNSAFE+SOUNDS STEMMT SICH GEGEN DAS VIRALE GEFÜHL DER UNSICHERHEIT UND NIMMT KÜNSTLERISCHE POSITIONEN INS VISIER, DIE AUF KONFRONTATIONSKURS MIT UNSERER WIRKLICHKEIT GEHEN. WIR MÖCHTEN BEZIEHUNGEN ZU DEN FUNDAMENTALEN VERÄNDERUNGEN IN UNSERER UMGEBUNG HERSTELLEN, UND SUCHEN NACH DEN PASSENDEN SOUNDS FÜR UNSERE ZERRÜTTETE ZUKUNFT UND UNSER VERSTÖRTES DASEIN.

TAINTED FUTURES — AGENCY OF IMMEDIACY

Das Unerhörte scheint alltäglich zu werden, mit jedem Tag ein bisschen mehr: Krieg, Naturkatastrophen, Klimakrisen, Energiekrisen, Bankenkrisen, Seuchen und Pandemien, Rechtsruck, Überwachung, Information Overflow, Exzess der Daten, Ausbeutung, Gleichschaltung, Machtlosigkeit, Depression. Smarte Mächte regieren, so dass man leicht Herrschaft als Freiheit und digitale Kommunikation als Community missversteht. Die Überwachung schleicht sich als Convenience in den Alltag, Freiheit wird ausgebeutet. Dataismus malt sich keine andere Zukunft aus. Das Like schließt die Revolution aus, glaubt Byung-Chul Han. Es gibt derzeit nur eine Krisenperspektive, wenn man an die Zukunft denkt. Abschied von der Utopie, jetzt wirklich.

Was uns bleibt in der zusammengezogenen Gegenwart ist das Reiten auf den Gegenwartsspitzen. Die Unmittelbarkeit des Hier und Jetzt, das Leben im Augenblick ist erreichbar. Unsere Körper haben wir noch. Und den Sound. Die Geburt alternativer Realitäten ist zwar noch nicht in Sicht — die kritische Masse bleibt noch unsichtbar —, dennoch werden in ekstatischen Zuständen, im aus-sich-heraustreten andersartige Wahrnehmungswelten angeboten. Wir bauen uns eine idealisierte subjektive Realität, ein emotionales Rückzugsgebiet, ein Cocooning, ja. Aber immerhin, die Suche nach einer anders gearteten Gegenwart geht weiter. Wir suchen eine Praxis des (V)erlernens, spüren das Reale des Moments, die Unmittelbarkeit des Klangs – die Dringlichkeit der Lautstärke oder Stille, die hypnotische Schnelligkeit oder Langsamkeit des Rhythmus, suchen und finden eine Schmerzausschaltung, eine temporäre autonome Zone, eine Utopia of Sound. Die Rückeroberung von Euphorie, Jouissance und Ekstase, geteilter intensiver Erfahrungen mittels sonischer Fiktionen und Mutationen. Sonische Sinnlichkeit – immediate sein. Wenigstens vorübergehend, ein paar Tage lang, Vehemenz in der Flüchtigkeit des Moments verorten.

CREATING SITUATIONS

Unsafe+Sounds geht 2022 in seine achte Ausgabe. Dieses Jahr rückt das Festival erneut den Zusammenhang gesellschaftlicher Fragestellungen und zeitgenössischer Ästhetik in der Musik in den Fokus. Es präsentiert musikalische Positionen einer Gegenwartskultur, die versucht zu reflektieren und mit teils radikalem Ergebnis, die uns umgebende Wirklichkeit abzubilden. Was die teilnehmenden Musiker:innen eint sind emanzipatorische Ansätze, die eine ästhetische Entsprechung zu unserer Jetzt-Zeit bilden. Ziel ist es, einige der zahlreichen Schnittstellen von experimentellem Underground, zeitgenössischer Clubkultur und akademischer Avantgarde aufzuzeigen und Handlungspotenzial aus der Unmittelbarkeit und Dringlichkeit der Musik zu gewinnen. Denn die Fähigkeit zur Imagination beginnt beim musikhörenden Subjekt, mit dem, was uns Vergnügen bereitet.

POLITICS OF THE DANCEFLOOR

2022 gibt es erstmalig neben dem Musikprogramm auch ein Diskursprogramm: Zu Politiken des Körpers auf der Suche nach Audio-Sozialen-Gemeinschaftspotenzialen. Bodies will be back! Laut Kodwo Eshun geht es bei Musik oft darum, die vom Körper verinnerlichten Gesetze wieder zu verlernen. Für ihn ist genau das Politik: „Es geht um eine erneute Verzauberung der Idee des Körpers, und es gibt eine Menge Musik, die genau das tut. Aber das ist keine Politik mit großem P, keine Marschieren-Und-Demonstrieren-Politik, sondern sinnlich / sensorische Politik.“ Tanzen und Hören sind für uns wichtige audio-soziale Praktiken, sie begründen keine Revolution und keine Utopie, aber sie trainieren Präsenz und bekunden Agency. Das Diskursprogramm stellt die Frage nach den ungeschriebenen Politiken der Tanzfläche und nach dem was bleibt, wenn die Musik aus ist.

Der Techno-Rave kann als letzte große Utopie im Pop gedeutet werden. Viele sahen nicht nur in den neuartigen Sounds, sondern auch im Club als sozialen Ort beachtliche gesellschaftspolitische oder gegenkulturelle Potenziale, die aber nicht formuliert und kaum realisiert wurden. Deshalb schrieb Simon Reynolds 1997: »rave culture (…) has turned from living dream to living death«. Viele dachten, wenn Klasse, Geschlecht oder Hautfarbe auf dem Dancefloor überwunden werden können, dann erledigen sich die anhänglichen gesellschaftlichen Problematiken schon von selbst. Aber zurück im Alltag blieben die meisten Probleme bestehen. Der Club oder Rave an sich richtete sich eher selten explizit gegen Diskriminierungen oder Benachteiligungen – man war nicht dagegen, sondern für die Überwindung. Dennoch schreiben zahlreiche Raver:innen, Musiker:innen oder Forscher:innen dem Club, der Tanzfläche gegenkulturelle Potenziale zu. Der Frage nach dem Warum wird in vier Themenblöcken nachgegangen.

#1 Wie verändert sich Musik im globalisierten (Plattform) Kapitalismus der Gegenwart? (DeForrest Brown Jr., Mattin)
#
2 Off The Radar: Was findet außerhalb der Aufmerksamkeitsmaschine statt? Experimentelle Musik und Noise aus Regionen des ‚globalen Südens‘ (Cedrik Fermont)
#3 Genuss, Vergnügen, Intensität, Intimität & Kommunalität im Rahmen von Sounderfahrungen und alternativen Soundkulturen (Wolfgang Sterneck, Eugenia Seriakov); Türpolitiken und kuratierte Diversität in Clubs (Luis Manuel Garcia); Situating the Dancefloor (Ana Threat & No Bra)
#4 Lokale Geschichte und Gegenwart – Diskussionen mit Zeitzeugen und Aktivist:innen: die Anfänge von Techno in Wien (Pure, Tina 303, Pulsinger, Tunakan, Glow) und selbstverwaltete Musikräume in Österreich (P.M.K., Einbaumöbel, KAPU, Lames, Arena Besetzung 1976). Welche Denk-, Hör-, und Spiel-Räume haben sich in 30 Jahren Clubkultur geöffnet oder geschlossen und was brauchen wir für die Zukunft?

SHILLA STRELKA (Künstlerische Leitung) & BIANCA LUDEWIG (Diskurs Programm Leitung)

In der Zacherlfabrik wird die Eröffnung sowie das Diskursprogramm, Konzerte und eine Ausstellung zu Transmedia Festivals (Martina Moro/ Parmon/ Bianca Ludewig) stattfinden.

Raven Wochenends im Werk und vom 29.9. auf 1.10. AfterHour in der Zacherlfabrik. See you there!

Website

Mix zum Festival

Overview Musik

Overview Diskurs

Diskurguide

Musik, Termine / , , , , .
Trackback-URL.

Einen Kommentar abgeben

Your email is never published nor shared. Required fields are marked *

You may use these HTML tags and attributes <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>

*
*

  • Neueste Blog-Artikel per E-Mail bekommen