Text Bianca Ludewig | Foto & Backjumps | Layout Gizmo
Die City of Names ist keine bessere Welt. Aber sie umweht ein Hauch von Freiheit. Und das nicht nur, weil sie ein Outdoor-Projekt der Backjumps Live Issue #2 war. Hier werden rund dreißig Writer, die sonst mit ihren Pieces auf die Architektur der Stadt reagieren, selbst zu Bauherren und Architekten. Während die Architektur unserer Städte immer mehr zur Profil-Neurose des Kapitals verkommt und vorbei an den Bewohnern geplant wird, gibt Jazzstylecorner mit der City of Names eine direkte & räumliche Antwort darauf. Ein Powermove mit künstlerischen und sozialen Qualitäten.
Der Mariannenplatz ist in Sommerabend-Licht getaucht. Mein Herz fängt an zu klopfen je näher ich in Richtung Backjumps-Eröffnung komme und umso deutlicher ich die Skyline aus Buchstaben und ungewöhnlichen Dächern sehe. Man spürt sofort, dass dort irgendetwas abgeht. Etwas das zunächst auf eine schwer fassbare Art schön, stark und anders ist. Ich höre Jazzmusik. Es offenbaren sich immer mehr liebevolle Details. Hunderte von Besuchern sitzen samt ihrer selbst mitgebrachten Getränke in und auf den Schriftzügen. Das ist er also – der „Bauspielplatz der Vandalen“ – wie viele Berliner Medien ihn beschrieben. Aber die sind vermutlich neidisch – und die Stadt gibt ihnen auch allen Grund dazu. Denn sie erfüllt den unterbewussten Traum eines jeden, steht für eines unserer grundlegendsten Bedürfnisse – dem nach Gestaltung von Lebensraum. Dieser arrangierte Haufen Sperrmüll ist wunderbar! Und er glüht, nein strahlt aus sich heraus! Undenkbar, unmöglich, eigentlich eine Frechheit! Das Konzept der City of Names stammt vom Berliner Writer ZAST. Er und seine Kollegen vom Jazzstylecorner sind in den letzten Jahren schon oft durch ungewöhnliche Graffiti-Projekte und Aktionen aufgefallen. Ihre interessanten Sichtweisen konnte man im „Writing“-Buch nachlesen oder auf den Style-Battles beobachten. 1997/98 hatten ZAST und AKIM mit Übungen angefangen: „Der Ansatz von Jazzstylecorner ist die Reduzierung auf das Wesentliche im Writing – das Skelett des Buchstaben. Wir verstehen den Tag als den Ursprung. Wenn man nicht taggen kann, müssen alle anderen Versuche scheitern. Deshalb war unser Motto: Return to Zero“, erklärt ZAST. Das bedeutete minimalistische Übungen mit dem ganzen Körper, statt auf Papier: ein Eimer Grundierung, eine Dose Schwarz. „Das hatte ich damals Jazzstyle genannt und das führte dann mit der Zeit zu einer Anhebung des Standards“, so ZAST.
Das Wunder von Berlin
Jazzstylecorner ist eine Zusammenkunft wo Writer ihre Standardoptik verlassen müssen, so auch bei der City of Names. Selbstreflektion und Selbstkritik sind große Themen bei Jazzstylecorner erläutert Zast: „Die Regeln der HipHop- oder der Writing-Kultur wie sie mal waren, werden von uns einfach immer wieder kräftig durchgeschüttelt und in Frage gestellt!“ Auch optisch unterscheidet sich Jazzstylecorner von dem was man sonst so von Writern gewohnt ist. Kein HipHop-Look oder Statussymbol-Markenklamotten. Dementsprechend ist auch ihre Einstellung zum Thema: „Sowas wie ein Montana-Logo wäre für Jazzstylecorner undenkbar. Entweder es wird gesponsort oder nicht. Wir werden diese Zeichen nicht mitverbreiten! Und ich finde auch, dass jedes Unternehmen das in irgendeiner Art und Weise von dieser Kultur profitiert, auch eine Verpflichtung hat, diese Kultur zu fördern. Und zwar auf eine Art, die uneigennützig ist. So könnte auch ein Klima zustande kommen, dass wiederum allen zugute kommt“, erläutert ZAST. Jazzstylecorner organisiert sich inzwischen offiziell als Verein. Es gibt einen engeren Kreis von etwa fünf bis acht Leuten die Aktionen planen und durchführen, plus den weiteren Kreis der in seiner Größe variiert. Denn dazu kann eigentlich jeder gehören der etwas hinein gibt. Der Writer IDEE – bei dem sich der Name kaum noch über Buchstaben manifestiert – sieht Jazzstylecorner als ein Prozess der Bewusstwerdung, auch und gerade durch Einflüsse von Aussen: „Der Dialog ist uns wichtig, viel wichtiger als das was dabei rauskommt. Jazzstylecorner ist ein Angebot zum Teilen, eine Brücke nach draußen, die sich zum Beispiel durch die City of Names zeigt.“
Das Konzept zur City of Names entstand 2003 als Jazzstylecorner zu einer Urban Art Ausstellung nach Göteborg eingeladen wurden. Dort sollten sie außerhalb der Galerie – in der Stadt – gestalterisch tätig werden. Und so entwickelte ZAST das Konzept für die erste City of Names. Aber wie es oft mit Ideen, Konzepten, Theorien so ist, sieht die Praxis dann ganz anders aus. Der Platz den die Kuratorin der Austellung Meira Ahmemulic von der Stadt bekommen hatte, lag in einer Problem-Plattenbausiedlung. Weit weg von der Galerie, am Rand der Stadt. „Dieser Stadtteil war ganz anders als Kreuzberg. Die Siedlung existierte erst seit dreißig Jahren und niemand blieb hier sehr lange. Hier lebten hauptsächlich Migrannten und Asylbewerber. Es gab hier verschiedenste kulturelle Gruppen und den höchsten Anteil von Kindern in ganz Göteborg“, erzählt Meira. Nicht die einfachsten Bedingungen, aber sie hoffte dass dadurch auch eine größere Handlungsfreiheit für das Vorhaben möglich wäre. Weder Jazzstylecorner noch Meira ahnten, was es bedeuten würde das Projekt dort zu realisieren. Die City sollte auf einem Fußballfeld inmitten einer Hochhaus-Siedlung erbaut werden. Meira hatte auch Writer aus Göteborg und Künstler der Ausstellung eingeladen mitzumachen, aber niemand wollte so recht. Wohl kein Wunder, denn man findet auch nur schwer Göteborger die dorthin zum Lohnerwerb kommen wollen.
Als Jazzstylecorner angstlos mit fünfzehn Leuten dort ankamen, wurde es gerade wärmer und die Kinder hingen auf dem besagtem Platz rum oder spielten dort Fußball.
Man hatte diese Idee von der City of Names und begehbaren Buchstaben im Kopf: „Aber sie war noch nicht besonders klar definiert und ihre wage Planung sah erstmal den ganzen Fußballplatz für das Projekt vor. Doch zunächst wurden sie von den Bewohnern als eine weitere Gruppe von Migrannten wahrgenommen, die neu waren und Raum beanspruchten auf den sie kein Recht hatten“, berichtet Meira. Man hatte bloß zwölf Tage Zeit, um das Projekt umzusetzten und baute fünfzehn Stunden und mehr am Tag, allen Widrigkeiten zum Trotz: „Wir waren sofort umringt von 50 Kids aus aller Welt deren Sprachen wir nicht verstanden und schwedisch konnten wir auch nicht. So mussten wir uns anders mit ihnen verständigen. Die Kinder waren offenbar sehr autoritär erzogen, denn ohne harte Ansagen ging gar nichts“, so ZAST. Obwohl die Polizei aus Angst vor illegalem Graffiti mehrere Male am Tag vorbeikam, gab es viele Diebstähle und die City wurde schnell der Ort an dem sich die Konflikte des Viertels entluden. Die Nachbarschaft richtete sich offen und aggressiv gegen die Writer. AKIM wurde irgendwann so wütend, dass er die Tür zu seinem Haus zubaute. Kurz darauf wurde sein Haus zerstört.
“Ich finde, dass jedes Unternehmen, das in irgendeiner Art und Weise von dieser Kultur profitiert, eine Verpflichtung hat, diese Kultur zu fördern. Und zwar auf eine Art, die uneigennützig ist.”
Von da ab begnügte man sich mit der Hälfte des Fußballplatzes. Dieser Rückzug zeigte den Kindern, dass ihr Protest einen Unterschied machen kann: „Das war sehr lehrreich, denn so musste jeder von seinem Egotrip runter kommen. Und irgendwann war dort auch eine echt gute Stimmung. Schlussendlich haben wir mit den Kindern zusammen dort gebaut und der Ort wurde auch dementsprechend mit von den Kindern gestaltet. Zur Eröffnung hatten wir eine tolle Party und mussten dann direkt abfahren. Und die Stadt wurde zum Spielball zwischen den einzelnen Gruppen dort – und kurz darauf zerstört.“ Obwohl Meira in diesen zwei Wochen nicht geschlafen hat, war es für sie das erfolgreichste Projekt an dem sie je beteiligt war: „Es war ein heikles Projekt, die ganze Zeit lag diese Spannung in der Luft und die Kinder haben das auch gespürt – dass die Sprüher angespannt sind. Andererseits haben sie auch gesehen, dass sie nicht aufgegeben haben und dass diese Spannung von den Writern kreativ umgeleitet wurde. Danach wollte das Viertel eine eigene Kunstwerkstatt.“
Im Vergleich dazu war die City of Names in Berlin um einiges einfacher zu realisieren, ein Heimspiel quasi. Kontakte und Unterstützung en masse. Trotzdem waren auch diese sechs Wochen City of Names für die Jazzstylecorner-Crew ein Kraftakt. Und auch ein Battle gegen den eigenen Schweinehund. Für dieses Vorhaben, den eigenen Tag und Style dreidimensional erfahrbar zu machen, konnten viele Writer und Urban Artists aus Berlin und anderswo gewonnen werden. So haben folgende Personen die City of Names realisiert: Freaks Gallery (DK), Armsrock (DK), Point(CZ), Fiona, Trick 17, Wax, Bus 126, Try, IND, Jolie, Mizza, Mony, Des 78, Aris, Spin, Brom, Poet, Phos4, Kripo, Drama, Monkey, Ehs, CBS, Urban Jürgen, Babbo (Schweden), Zast, Ritsche , C. Marien, Vader, Broa, Thief, Roger, Atari, Relax, Idee, Hesht, Akim, Mr.Mucho (Norwegen), Spair, Bosom, 247Crew, Nomad, Ms. Riel, Caro, Minja, Milan, Lotte, Pegasus, Hanna von Welt, Dizzy, KG Crew, Angst, 2ndRound, Mathias Hübner, Ariston (USA), Annika, Meira Ahmemulic, Cosmo, Inka, CAF Crew, Graffiti-Museum Berlin und die Kids aus Kreuzberg. Sie alle haben in gewisser Weise für Berlin sichtbar gemacht, was ohnehin schon klar ist: Berlin ist already die Stadt der Namen und schon fast überprädestiniert für dieses Projekt. In kaum einer anderen Stadt der Welt ist Writing so präsent, sind die Namen & Styles so vielfältig, so zahlreich, ist die Sprache der Straße so kommunikativ wie hier in Berlin. So lets take a mental-walk into the City of Names.
Es existierten zwei verschiedene Konzepte seinen Namen als Haus darzustellen: zum einen die dreidimensionalen Buchstaben und zum anderen die Umsetzung der metaphorischen Bedeutung des Namens. IDEE entschied sich für das letztere: „Mein Haus ist das schlichte Wartehäuschen, das hab ich mit der Künstlerin Daniela Thompson zusammen gebaut. Der Satz den ich damit meine ist: sitzen, warten und nichts tun. Egal wer drin sitzt oder rein schaut – es fühlt sich sehr vertraut an. Ich muss hier nicht meine Buchstaben hinbauen. City of Names heißt für mich nicht City of Letters“. So hieß es für viele: loslassen von den Buchstaben. Und dass Loslassen sowieso ein essenzieller Bestandteil von Writing ist verdeutlichte die CBS-Crew mit ihrem Haus. Sie hatten eine Kapelle gebaut, um so den Abschied von ihrer Crew angemessenen zu verdeutlichen und in ein Symbol zu kleiden: „Sie haben so das Ende ihrer Gruppe und der Writing-Kultur ganz öffentlich inszeniert. Damit wollten sie auch zeigen: ganz oder gar nicht!“, so ZAST. Am Sonntag nach der Eröffnung wurde der zuvor in der Kapelle aufgebahrte Sarg von einem Demonstrations-Trauerzug mit vierhundert Trauergästen unter dem Motto: „Mit Sicherheit stirbt Freiheit“ durch Kreuzberg und dann zu Grabe getragen. Danach gab es einen Leichenschmaus. R.I.P. CBS – we gonna miss ya!
CBS ist vielleicht tot, aber die City of Names lebt weiter. Denn sie ist unsterblich. „Die City ist eine Art Zeitfenster, wo auf einmal Sachen passieren können, die sonst nicht so einfach möglich sind. Wir machen hier nicht einen auf ‚wir sind die coolen Writer‘, denn das ist nicht so. Wir haben hier alle auf die eine oder andere Art mit den Situationen die sich ergeben zu kämpfen“, so ZAST. So kann man die City of Names nicht losgelöst von der Stadt betrachten in der sie sich befindet. Und offenbar auch nicht ohne seine Kinder. Auch diesmal waren die Kinder die ersten, die dabei sein wollten. Sie ahnen und spüren als erste was für ein grundlegendes Bedürfnis es ist zu bauen und Lebensraum zu gestalten. So hatte der dann doch unerwartet große Ansturm von Kindern schnell zur Entwicklung pädagogischer Fähigkeiten von allen Beteiligten beigetragen. Auchsorgten Entscheidungen zu Übereinkünften wie ein Haus auszusehen hat, was nebeneinander stehen kann und darf und ob Tags darauf geduldet oder verboten werden, für Debatten: „Der Besitz brachte soziale Konflikte. Es gab hier schon einige Diskussionen. Aber damit muss dann eben auch umgehen können, das gehört dazu. Was uns verbindet ist der Background – wir stehen alle in irgendeiner Weise in Verbindung mit Jazzstylecorner und das ist der Grund auf dem hier alles steht“, erzählt IDEE.
Gute Ausstellungen haben verschiedene Ebenen – so auch die City of Names. Man braucht eine Weile um sie wahrzunehmen. Für Meira Ahmemulic ist das ganze eine Art Spiegel: „Während man die City of Names erlebt und liest, werden auch kulturelle, gesellschaftliche und soziale Aspekte sichtbar. Oder auch die Struktur die Graffiti-Kultur hat: Die City of Names ist immer da, aber für die meisten ist sie unsichtbar. In Momenten wie diesen, kann sie sichtbar werden. Sie ist wie ein Regenbogen und wenn du ihn zu sehen bekommst, kannst du dich glücklich schätzen.“ Die Häuser, Straßen, Brücken unserer Stadt sind auch als Symbole lesbar. Sie haben Eigenschaften, Ausrichtungen, Nutzbarkeiten die auch eine Sprache sprechen. Boden wird markiert, Raum eingenommen, Orte angeeignet. ZAST schlussfolgert: „Von oben gesehen ist die ganze Stadt beschrieben. Ich habe jeden Tag von der City of Names ein Foto von oben gemacht. Und nach dem Abriss konnte man den Abdruck der Stadt sehen. Das sah aus wie eine Zelle, die Wege waren weggetreten und sandig, aber unter den Häusern hatte sich die Wiese gehalten. So ergab sich ein Stadtplan der Stadt. Das war dann nochmal ein besonderer Moment, zu sehen wie man gemeinsam ein riesen Tag gemacht hat. Nach allem was man zusammen erlebt hat war es ein cooles Gefühl diese Spur auch noch gemeinsam hinterlassen zu haben.“
Über die Aspekte der urbanen Kalligraphie hinaus hat die City of Names für die Öffentlichkeit sichtbar gemacht, was eigentlich soweiso selbstredend ist, nämlich dass Writer, Kinder und eben alle sogenannten Unbequemen oder schwer zu verstehenden auch Teil ihrer Stadt sind. Und wir alle haben ein Recht auf Mitgestaltung! Jazzstylecorner will deutlich machen, dass es hier nicht um Zerstörung, sondern um den Aufbau von existierenden – wenn auch nicht vorgesehenen – Möglichkeiten und Perspektiven geht. „Wir wollten auch zeigen, dass diese Dinge in unmittelbarer Verbindung stehen und dass es ist nicht so schwarz-weiß ist, wie viele es immer darstellen. Uns geht es um Orte, die noch frei zur Gestaltung sind, Raum der nicht dem Kommerz unterworfen ist, wo man nicht nur als Konsument funktionieren muss. Denn das wird zunehmend massiver und Freiheit geht immer mehr verloren. Normalerweise kann man als Writer den Ort beschriften, aber ihn nicht formen. Es war gut zu sehen, dass man Realität – wenn auch nur für kurz – verändert. Und doch noch so frei sein kann“, so ZAST. Angenehm war auch der Anspruch neben dem künstlerischen Wettkampf gleichzeitig ein soziales Battle zu haben. So wurde in der Bauphase jeden Tag für alle gekocht und von russisch bis asiatisch hat jeder so auch seine Essgewohnheiten mit eingebracht. IDEE resümiert: „Hier passiert ganz viel positives und es ist gut, wenn das auch nach außen strahlt. Es ist in jedem Fall ein Schritt, den Writer hier machen können. Berlin hatte ja mal einen ganz anderen Ruf in Deutschland und jetzt ist es halt so! Ich weiß nicht, in wie weit es ähnliche Ideen oder Konzepte in anderen Städten gibt, aber die Besucher waren doch recht angetan von unserer Art die Dinge anzugehen“. Geplant ist eine dritte und letzte City of Names. Dabei soll das Konzept durch die gemachten Erfahrungen erweitert und optimiert werden. Wo und wann ist noch nicht klar, aber es haben schon einige Städte angefragt.