Make Hip-Hop, NOT Bullshit – Mehr Skills fürs Myfest!

Text Bianca Ludewig | Fotos Murat Aslan & Yavuz Arslan | Layout Gizmo


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Was ist eigentlich „politischer Rap“? Warum wird er von vielen ausgegrenzt, und warum grenzt er sich selber aus? Während viele beim politischen Rap oft die handwerkliche Qualität vermissen, stellen die Polit-Rapper selbst oft den Inhalt über alles. Zum 1. Mai kommen Akteure beider Lager in Berlin dennoch zusammen, allerdings meist nur räumlich. Dabei könnten Allianzen der zwei Lager dem heutigen Hip-Hop durchaus guttun.

myfest

ir kennen den 1. Mai als Feiertag mit bundesweiten traditionellen Gewerkschaftsdemonstrationen, aber vor allem sind die Ausschreitungen in Berlin-Kreuzberg seit den achtziger Jahren berüchtigt. Hier treffen traditionell Polizisten auf Bullenhasser. Doch die ausgehöhlten Gesten der Beteiligten laufen zunehmend ins Leere. Seit 2001 soll das „Myfest“ Kreuzberg befrieden und die gewalttätigen Ausschreitungen verhindern, die auch den Bewohnern des Viertels geschadet haben. Die Myfest-Crew will möglichst vielen Akteuren des Viertels kulturelle Repräsentationsmöglichkeiten geben – weshalb auch Hip-Hop stets Teil des Myfests war. Gefühlt stürmt an diesem Tag die ganze Stadt den Kiez. Das Kultur- und Musikangebot mutet jedoch kaum mehr politisch an, es sei denn, man definiert Kultur per se politisch. Hip-Hop findet auf dem Myfest en masse statt, vor allem auf der Antifa- und der 36-Kingz-Bühne, wo sich Gegenpole mit oft unterschlagenen Gemeinsamkeiten manifestieren. So spielten auf der „Beats Against Fascism“-Bühne Rap-Acts wie Damion Davis, Schlagzeiln oder die französische Rapperin Keny Arkana. Andernorts flowen Immo oder Chefket. In der Naunynstraße konnte man Deso Dogg, MC Bogy oder K.I.Z. hören. MCs sind fast überall präsent: beim Beatboxcontest, in Freestylesessions, als Reggae-Toaster und Chatter oder Spoken-Word-Performer. Manche MCs geraten am 1. Mai in einen regelrechten Auftrittsmarathon und hetzen von Stage zu Stage. Die traditionellen Demonstrationen finden derweil kaum noch Beachtung. Immerhin versucht der internationale „Euro Mayday“ mit Aufrufen wie „superkreativ, superfleißig, superflexibel, superbillig? Geht’s noch!“ und „Hol dir dein Leben zurück!“ seit 2001, etwas zeitgemäßer als die Altlinke oder die Gewerkschaften den verschiedenen Formen von Prekarisierung in der heutigen Arbeits- und Lebenswelt einen Ausdruck zu geben. Während die Mayday-Parade durch Berlin-Friedrichshain zieht, ergreifen in Kreuzberg die ersten MCs das Mic.

Ob Rap durch seine Geschichte immanent politisch ist oder politischer sein sollte, wird immer wieder diskutiert. Für Deutschland lässt sich sagen, dass MCs und Gruppen in der Rap-Geschichte konstant politische Statements für sich beansprucht und sie auch mittels Rap artikuliert haben. Und das nicht erst seit 2001, sondern seit es Rap in Deutschland gibt. Und zwar in allen Jargons und Sprachen, die hier gesprochen werden.

Während sich früher noch alle – Kanaken, Weißbrote, Unter-, Mittel- oder Oberschicht – auf Advanced Chemistry oder Hardcore-Rap-Kombos wie No Remorze oder Readykill einigen konnten, wird ein gemeinsamer Nenner der kollektiven Anliegen und Kritik zunehmend schwieriger. So haben sich auf der einen Seite die MCs, die hauptsächlich auf Demos, in besetzten Häusern oder bei linken Solikonzerten spielen, ihre eigene „linke“ Fangemeinde geschaffen, die ihnen ihre zumeist mangelhaften Skills nachsieht und oft nicht weiß, wie sich ein sauberer Flow oder Doubletime-Rap überhaupt anhört. Dafür feiert sie deren Texte und ihre Gesinnung. Diese Akteure bedenken den Rest der Hip-Hop-Szene, zu der sie sich häufig nicht zählen, oft großmütig mit Kritik und Spott. Auf gewöhnlichen Rap-Konzerten sind sie denn auch nur selten zu finden. Als Anhaltspunkt kann das Netzwerk Hip Hop Partisan dienen.

Auf der gefühlten anderen Seite stehen die Straßen- und Gangsta-Rapper, die ihrerseits alles außerhalb ihres bekannten Umfelds und Sprachjargons dissen und gerne Gewalt, Knast, Materialismus, Sexismus, Homophobie, Egomanie und den allgemeinen Tabubruch glorifizieren oder sich zumindest daran erfreuen. Auch sie haben sich ein eigenes, oft sogar finanzträchtiges Universum geschaffen, samt einer obskur durchmischten Fangemeinde, die sie ebenfalls treu supportet.

Dazwischen ist ein weites Mittelfeld entstanden, das dieses Vakuum ausfüllt und nur schwer zu klassifizieren ist. Ein Indiz ist häufig die Abwesenheit gewisser gängiger Ausdrücke und verbaler Tabubrüche, die nicht nur „politisch Korrekte“ verärgern, sondern inzwischen auch weite Teile der Aktiven und Konsumenten langweilen.

Inhalte und Kritik scheinen wieder verstärkt ins Zentrum der Lyrics zu rücken. Viele Newcomer haben unbemerkt im Homerecording-Ambiente ihre Wort- und Beatschwerter geschärft, viele Ältere sind sich weiterhin treu geblieben, auch wenn sie dafür bisher wenig Beachtung bekommen haben. Die Jüngeren sind meistens mit Battle-Rap aufgewachsen und haben ihn auch als Gegenbewegung zum Spaß-Rap gefeiert; aber eben nicht alles. Vor allem nicht die Abwesenheit von kritischen Inhalten, die sie nun selber auf ihre Weise zur Sprache bringen. Mal mehr humoristisch bis beißend ironisch, mal eher philosophisch bis melancholisch, dann wieder surreal verschachtelt bis Science Fiction oder einfach sehr frech bis zu Upfront-Agit-Pop. Auch die Vielfalt ihrer textlichen Inhalte und musikalischen Anleihen mag ein Anhaltspunkt sein.

Die zuvor erwähnten beiden Pole kommen nie zusammen, obwohl es auch Tracks gibt, die auf gegenseitige Akzeptanz treffen könnten, aber die Vorurteile sind massiv und selbst Bestandteil einer Abgrenzung im Prozess der Selbstdefinition. Anders verhält es sich bei den Spielern im „neuen“ Mittelfeld, sie haben Schnittmengen mit einem der äußeren Pole oder sogar beiden und vor allem untereinander. Einige sind auf Konzerten oder Tracks inzwischen etablierter Künstler präsent, die sich ebenfalls nicht so leicht einordnen lassen. Die beiden erwähnten Pole, Straßen-Rap und Hip-Hop von Links, illustriert auch das Myfest.

Die Kreuzberger Gang 36 Boys hatte sich 1986 zunächst als B-Boy-Crew in „Klein Istanbul“ gegründet. Die Ursache für die Entstehung von „Klein Istanbul“ waren die damaligen Zuzugsbestimmungen, die den Gastarbeitern in West-Berlin nur einen Wohnsitz in Kreuzberg, Schöneberg, Neukölln und Wedding erlaubten. Das ist nicht weiter ungewöhnlich, sondern Standard in Metropolen, die im Zuge der Globalisierung zunehmend von Menschen aufgesucht werden, die in ihren Herkunftsländern aus wirtschaftlichen oder politischen Gründen keine Chance auf eine Zukunft sehen. So entstanden in Berlin Gebiete, die einen Bewohneranteil mit Migrationshintergrund hatten, der nicht selten 90 Prozent betrug. Die unterste Stellung in der Sozialhierarchie hat sich so in der Topografie der Großstädte eingeschrieben, in der eine Artikulation nicht vorgesehen ist. Indem man aus seinem Kiez einen wilden Spielplatz machte und wenigstens hier versuchte, die Regeln mitzubestimmen oder sich Gehör zu verschaffen, erfand man auch Strategien, durch die man die Trostlosigkeit besser ertragen konnte. Deshalb hat Rap an diesen Orten stets einen guten Nährboden gefunden. Auch deshalb ist Straßen-Rap eine logische Konsequenz, die auch die Linke akzeptieren muss. Die 36ers blieben nicht lange eine Breakdance-Crew: Rap, Graffiti und Beatproduktion kamen schnell dazu, und auch all die anderen Dinge, die eine Gang auszeichnen. Dazu gehörten auch die Straßenschlachten mit der Polizei am 1. Mai.

Heute umfasst der harte Kern der 36ers 30 bis 40 Personen; samt Nachwuchs sowie Dunstkreis und Anwärtern sind es rund 100 Personen. Eine Zahl, die viele lokale Politgruppen gerne erreichen würden. Mit den Generationen hat sich bei der 36ern auch mehr herauskristallisiert, worum es geht, auf welche Taten man nicht stolz ist und was weiterhin angemessen bleibt.

Am 1. Mai wird nun also traditionell am Kulturprogramm mit der eigenen Bühne teilgenommen, die Senol Kayaci organisiert, der 1988 zu den 36ern kam und 2003 (nach Maxim’s Ermordung) das 36Kingz-Label gründete. Er betreut auch einige Artists der 36er. Die 36-Kingz-Bühne öffnete sich mit den Jahren zunehmend für Rapper und Rapperinnen, die keine 36er sind. So spielten dort in den letzten Jahren, neben den Acts aus dem eigenen Lager wie B-Lash, Zaza, Asek, Killa Hakan, Heval, MC Rex, Mach One, Kritische Distanz oder Volkan T., ebenso auch Jeneez, Mike Fiction, Lady Scar, Chefket, M.O.R., Manuellsen, Prinz Pi oder K.I.Z. Und da ist noch viel Platz nach oben oder nach links. Allerdings gibt es auch einige, die nicht mehr mitmachen wollen, entweder weil Konflikte ausgeartet sind, oder weil sie wie B-Lash nicht Teil der Entpolitisierung sein wollen.

Senol Kayaci weiß, dass eine Auseinandersetzung mit politischen Themen auch für die 36er wichtig ist. So ist Abschiebung ein Thema, das immer noch die Bewohner der alten und neuen Ghettos betrifft, weshalb man auch mit politischen Initiativen Konzerte gegen Abschiebung organisiert. Kürzlich im Fall von Afro Hesse.

Dass Abschiebung ein großes Problem ist, vor allem in der eigenen Subkultur, haben viele im Hip-Hop immer noch nicht begriffen. Im Rap-Kontext wird dem Thema nicht viel Aufmerksamkeit geschenkt. Hier sind es wiederum, neben den Betroffenen, einzig die altbekannten und neueren Polit-Rapper wie Chaoze One, Microphone Mafia, Albino, Madcap, Holger Burner, Kurzer Prozess, Schlagzeiln, Monkey Mob (Ambigu MC & Pyro One) oder Conexión Musical sowie die auch im Reggae umtriebigen Soultecniques oder Irie Révoltés, die das Thema konkret aufgreifen. Das gilt ebenso für gesetzliche Strafverfolgung durch politisch motivierten Aktivismus oder Sachbeschädigung. Und der Paragraph 129a kann gleichermaßen politisch Aktive wie Gangs betreffen.

Wohl deshalb rückt, neben den 36ern und anderen Gangs im Berliner Hip-Hop-Milieu, neuerdings auch die linke Hip-Hop-Szene verstärkt ins Visier des Landeskriminalamts, wie die „Berliner Morgenpost“ Ende 2007 feststellte. Bei der Sonderermittlungsgruppe PMS (politisch motivierte Straßengewalt) gibt es Beamte, die sich auf Recherchen zu Hip-Hop-Gruppen aus dem linken Umfeld spezialisiert haben. Das LKA reagiert damit laut „Berliner Morgenpost“ auf einen neuen Trend in der linken Szene, die Hip-Hop für sich entdeckt hat, um mittels Rap radikale Botschaften zu vermitteln – „mit aggressiven und staatsfeindlichen Texten“.

„Wir haben in Berlin in den letzten Jahren linken Hip-Hop weit nach vorne gebracht … Ich denke, dass ein politischer Widerstand, der sich in Graffiti, Straßenmilitanz und gut geschriebenen Texten ausdrückt, viel erreichen kann … Die Leute, die Musik machen, die sprühen gehen, die Soundsystems betreiben … Ich denke, dass wir zusammen viel bewegen können.“ Dieses Statement eines Antifa-Aktivisten wurde auf dem Conscious-Rap-Sampler des Produzententeams Beat 2.0 festgehalten, der gerade als freier Download erschienen ist (myspace.com/beat2.0).

Der gemeinsame Nenner ist hier die Überzeugung, dass Rassismus, Sexismus, Antisemitismus, Kapitalismus, Homophobie und vor allem Faschismus im Hip-Hop und in der Gesellschaft nichts verloren haben. Auch die 36ers haben als Gruppe antirassistische und antifaschistische Grundsätze. Sexismus oder Homophobie sind ebenfalls unerwünscht, wie Senol Kayaci erklärt. Nur dass es dabei an der verbalen Klarheit hier und dort noch hapert. Weshalb auch bei den 36ern diskutiert wird.

Laut Senol geht es für die 36er darum, aus der für sie vorgesehenen und auch selbst gegrabenen Grube herauszukommen, aber trotzdem unbequem zu bleiben. Was das bedeutet, muss beständig ausgelotet werden. Und wenn man sich den „36 Kingz Kreuzberg“-Sampler anhört, so befindet er sich inhaltlich mit dem Conscious-Rap-Sampler auf Augenhöhe. Das Beste aus beidem wäre für alle Hörer wunderbar und ein Schulterschluss dieser Dunstkreise für das LKA sicher unerfreulich.

Wo es keine Gemeinsamkeiten gibt, müssen auch keine herbeigezwungen werden. Hip-Hop braucht seine vielfältigen Sparten und Subgenres und die Reibung. Da kann es nur heißen: alles oder nichts! So kann man die bunten Pieces auch nicht ohne die Tags haben. Doch es scheint, dass die bestehenden Verbindungen nicht immer optimal für alle Beteiligten sind. Die einen werden verkrampft dogmatisch und entwickeln sich skilltechnisch kaum weiter, während andere, Loyalität und Homie-Romantik über alles stellend, inhaltlich unkritisch bis anspruchslos werden.

Es scheint an der Zeit für Hip-Hop, die Karten neu zu mischen und neue Allianzen zu schließen, denn vieles, von Straßen- bis Backpacker-Rap, kann conscious oder auch knallhart sein. So können die einen in Sachen Handwerk dazulernen, die anderen in Sachen Haltung. Die vermeintlichen Gegensätze liegen oft näher beieinander, als es scheinen mag. Zwar sind manche Wege zu weit für einen Sprung oder Schulterschlag, aber das große Mittelfeld – um vielversprechende Labels wie Edit, Spoken View, Kopfhörer, Chimperator, No Peanuts oder Entourage sowie die beständig steigende Zahl neuer Acts mit Kopf und Herz, aber ohne Schema – ermöglicht Schritte, die vermeintliche Distanzen überwindbar machen.

Mehr dazu von B-Lash, Chaoze One, Sookee, Schlagzeiln, Conexion Musical, Chefket, Volkan T, Senol, Beat 2.0, Kurzer Prozess, Meyah Don & Holger Burner auf BACKSPIN.de

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