Frühlingszeit ist donaufestival Zeit, zumindest für einige Wiener*innen und Innsbrucker*innen, die man vermehrt dort antrifft. Krems ist nur eine Stunde von Wien entfernt und auch wenn es die Kremser*innen wohl nicht gerne hören, nehme ich es eher als Wiener Festival wahr. Auch die Kuration kam stets aus Wien, zumindest seit 2005. Die thematische Rahmung für das Musik und Performance Programm ist in diesem Jahr „Neue Gesellschaft“. Das wirkt auf den ersten Blick etwas übererregt, oder ist es ironisch gemeint?
Der künstlerische Leiter Thomas Edlinger erklärt die Zusammenhänge wie folgt: Leben Veganer, Burschenschaften, Superreiche und Flüchtlinge überhaupt in derselben Gesellschaft? Ein Knotenpunkt des Allgemeinverbindlichen ist nicht mehr leicht zu finden. Die Fehler der Gesellschaft stehen in deutlichem Gegensatz zu den Gleichheitsversprechen, die für die Liberalisierung von Kapital, Konsum und Moral auf der Strecke geblieben sind. „Die Medien sagen es jeden Tag: Hier, die Überflieger – dort, die Abgehängten. Hier, die von hier – dort, die von woanders. Hier, toxische Männlichkeit – dort, die nicht-binäre Avantgarde.“
Er glaubt, dass sich Widerstand gegen diesen Zerfall formiert, indem man auf Gemeinschaft statt auf Gesellschaft aufbaut. Edlinger beruft sich auf die Konflikte zwischen Linken, die eine Wende durch die Einrichtung von Safe Zones einleiten wollen, während Populisten dafür werben, dass man einfach so bleiben so bleiben kann wie man ist und feministische oder postkoloniale Einstellungen bekämpfen sollte.
Sowohl progressive als auch reaktionäre Wir-Bildungen und Ausschlüsse finden in einer vernetzten Welt ohne Außen statt, diesen Umstand verbindet Edlinger mit unserer medial vermittelten Datenwelt und meint dass „der Absolutismus der Daten seine eigenen Pläne hat“. Was die Gegenwart zu einer neuen Gesellschaft macht, ist der Umstand, dass wir zunehmend mit Maschinen kommunizieren. Und diese mit noch mehr Maschinen
Das Ende vom Lied ist eher schlicht denn euphorisch: „Vielleicht geht es bei einem ‚Wir‘ von morgen mehr um kollektive Aktivitäten als um kollektive Identitäten“, schließt Edlinger seine Einführung. Macht ein Mensch und sein Handy schon einen Cyborg? Oder sind ich und meine meine facebookfreunde schon ein Netzwerk, ist Onlinedating schon eine kollektive Aktivität?
Ich erwarte vom donaufestival keine Antworten, obschon der Reader zum Festival solche anbieten will. In künstlerischen Arbeiten kommen Antworten nur selten konkret daher, meistens führen sie zu mehr Fragen. Aber von einem Festivalthema sollte man auch kein Narrativ wie von einem Buch erwarten, sondern lediglich eine sehr loose frei assoziative Rahmung, die dem kuratieren mehr Spaß und Spannung verleiht.
Die Teilnahme am Festival kann natürlich eine gemeinsame Aktivität sein, aber in einem sehr begrenzten Teil der Gesellschaft. Dies bleibt meine hartnäckige Kritik, da auch diesmal wieder von Inklusion und Exklusion die Rede ist. Die Hürden blieben auch bei freiem Eintritt hoch, wenn der Anspruch wäre möglichst Viele zu erreichen.
Die Tageskarten kosten 35€, was viel Geld ist (für rund 35% der Österreicher, die keine Ersparnisse haben und zur Deckung ihrer Tageskosten immer knapp bei Kasse sind, wie vor Kurzem in den Nachrichten berichtet wurde) und zusätzlich hat Mensch Kosten für das Kommen, Bleiben und wieder fahren – da die kleinste Gruppe von Teilnehmer*innen aus Krems kommt. Auch der Geschmack, die Mischung aus Musik und Performance, ist eher bürgerlich als Mainstream. Allerdings schwappt ein Teil der präsentierten Musik immer mehr aus der Nische in den breiten Kultur-Strom.
Nichtdestotrotz bin ich gespannt auf die Umsetzung. Und für eine kleine Gruppe von Musik- und Performance-Nerds ist es definitiv das Geld und die Mühe wert. Und ich gehöre auch zu ihnen. Mensch pilgert nach Krems, um die neuesten Ideen und Projekte zu diskutieren, die diese Jahr entlang der Linie „Neue Gesellschaft“ kuratiert wurden. An Kritik wird dabei selten gespart, schließlich veranstalten viele selbst, machen Performance, Kunst und Kultur oder berichten darüber. Viele der Besucher*innen könnten auch so ein Festival machen. Und dennoch oder gerade deswegen kehren wir wieder.
Zu den Musiker*innen gehören: Holly Herndon, Giant Swan, Gudrun Gut, Katharina Ernst, Arabrot, Khalab, AAA oder PlanningtoRock am ersten Wochenende. Das zweite Wochenende präsentiert Konzerte von Lucrecia Dalt, Ark Noir, Godflesh, Eartheater, Fatima Al Qadiri, Kate Tempest und Apparat.
Im Performance Teil gibt es Stefan Kaegi & Rimini Protokoll, Ligia Lewis oder Karin Pauer & Aldo Giannotti. Ergänzt wird das Programm durch künstlerische Arbeiten und Installationen sowie einen kleinen Theorie- und Filmteil.
Website: https://www.donaufestival.at