Lawrence / Dial – Blues ohne Worte

 DIAL RECORDS 
       BLUES OHNE WORTE

Lawrence aka der „Anorak-Houser“, hat eine ganz weiche liebevolle Stimme und er ist auch ein sympathischer Typ, der viel lacht und etwas von einem Kuschelteddy hat. Ganz anders als die Typen, die vor dem golden Handschuh gegenüber vom Wohnzimmer-Office des Label Dial-Records am Hamburger Berg rumhängen. Lawrence macht das nichts aus, er wohnt sogar hier: im Bermuda-Dreieck der Vergnügungssucht. Das ist praktisch, denn von hier aus hat man es nicht weit zum Pudel, der Weltbühne oder dem Klick – wo Lawrence und seine Labelkollegen gerne und oft ihre Auffassung von guter Musik zelebrieren. Lecker & gesund: minimale Beats aus dem Hause Dial.

    

Wir trinken Pfefferminztee in der 2qm-Küche und ich betrachte die Wäsche die über uns von den Leinen baumelt, während Lawrence – Meister für elektroakustische Tundras und feinsinnige Klangflächen – mir den letzten Tatort nacherzählt. Gemeinsame Laster schaffen Vertrauen. Denn Tatort ist die einzige Fernsehsendung die auch er sich, nach so manchem durchfeierten Wochenende, regelmäßig gönnt.

Es ist erstaunlich, wie oft wir vom Stichwort FSK zum Thema Tatort und wieder zurück kommen können. Als wären wir Wortpong-Spieler: Label – Sunday Service – Radio – Fernsehn – Tatort. Und kaum angekommen wieder zurück: Tatort – Antisemitismus – FSK – Radio – Medien – Fernsehen – Tatort! Ach ja, herrlich: Tatort! Deutschland durch die Polizei-Brille sehen und dabei sein, wenn ganz lässig Gerechtigkeit geschieht: „Polizisten können sich total gehen lassen, schlimme Eigenschaften haben und sind trotzdem Helden. Danach sehnen sich ganz viele Deutsche“ meint Lawrence. Und während wir so vor und zurück pongen streifen wir immer neue Aspekte der Themenfelder. Nach den Stichworten Deutschland und Rezeption landen wir wieder beim Antisemitismus und der Linken.

            

„Auf der einen Seite wird dieses Thema viel zu intellektualisiert, aber gleichzeitig vereinfachend codiert“, stellt Lawrence fest. Er selbst wird immer wieder bei Interveiws auf diese Themen angesprochen, da sowohl er als auch Dial-Records ein linkspolitisches Image von Fans und Presse „übergestülpt“ bekamen. Er selbst sieht sich eher als ein Beobachter des politischen Geschehens, denn als Aktivist. Und ja klar, er geht auch mal auf Demos. Durch Bekannte und Freunde wurde er anpolitisiert, doch die Form der Auseinandersetzung denen er in politischen Projekten begegnete brachten ihn wieder davon ab, sich intensiver zu engagieren. Trotzdem konsumiert er – nach wie vor mit Interesse – die zähen Texte und Radiosendungen zum Thema Antisemitismus. Auch wenn dies meist nur schwer auszuhalten ist, wie er eingesteht.

Oft ist ihm nicht klar, ob dieser extreme Positionierungsdruck zum Thema Antisemitismus nicht eher auf politisches Stylegehabe zurück zu führen sei. „Auch Dial wurde ja immer ein bestimmter Polit-Style unterstellt, weil wir auf Soli-Partys aufgelegt haben oder auf einer Single von uns das AntiFa-Logo benutzten…“ Denn eigentlich machen sie ja nur Musik für unpolitisierte Menschen, denn im Bereich von Techno und Elektronik kann man noch plakative Aufbauarbeit leisten, erklärt Lawrence. „Wir finden es einfach langweilig in Interviews nur über Musik zu reden und finden es wichtig Öffentlichkeit zu nutzen, um so auch unser Wissen um solche Themen mit einzubringen.“ Schließlich gelingt es uns aus dem thematischen Teufelskreislauf auszubrechen und zurück zum wesentlichen zu kommen: der Musik.

    

Der Klang-Frickler kam einst – quasi unfreiwillig – samt Familie in die Vorstadt von Hamburg und ursprünglich aus Witten im Ruhrgebiet. Nach zwanzig Jahren Norddeutschland, inklusive Gärtnerlehre und Studium der Kulturwissenschaften, ist kein Hauch von Pott-Mundart mehr zu hören. Aber vielleicht von der Mentalität. Denn er trägt das Herz auf der Zunge, das bemerkt man, wenn man ganz genau hinhört. Auch in seiner textlosen Musik. Und ohne Lawrence, der meistens Pete genannt wird, gäbs auch kein Label. Zumindest kein Dial. 1999 beschlossen Dave, Paul und Pete(r) Dial-Records zu gründen.

Seitdem passierten auf dem Label einige musikalische Ereignisse: Sechs Alben und Zwanzig Maxis, um genau zu sein. Eins wußten sie bereits: „Platten rauszubringen macht eigentlich gar nicht soviel Spaß“! Trotzdem wollten sie für ihre eigene Musik selbst sorgen. Und durch ihre Studentenjobs bei Universal und Ladomat wussten sie auch, wie das funktioniert. Und da auch beim Vertrieb Kompakt Freunde von Ihnen arbeiteten, war die Logistik schnell hergestellt und eine erste Compilation von 300 Stück kam raus und war schnell vergriffen. „Die hatte Kompakt damals wohl nur aus freundschaftlichem Mitgefühl genommen, denn wirklich gut war dieser Sampler nicht“, erinnert sich Pete – während der Lawrence in ihm tiefstapelt.

   

   

Seitdem produziert der Soundgärtner kontinuierlich als Lawrence oder Stan. Lawrence ist die Musik zum Zuhören. Sten, ein weiteres Projekt, ist eher Tanz-Techno. Zum Raven. Aber Lawrence möchte seinen Techno nicht als Soundtrack zum Baggern verstanden wissen, denn „heute herrscht in den Clubs leider oft nur noch eine unangenehme sexistische Atmosphäre“. Stens Techno soll aber auf der Basis des alten Umgangs mit der Materie verstanden werden: „So wie es damals im Front war, da ging es zwar auch um Sex, aber die Leute liebten die Musik und waren Kenner; nach drei Takten wusste jeder sofort welches Stück jetzt folgt.“ Deshalb macht Sten Musik für Leute, die noch die Augen zumachen und stundenlang tanzen können.

Seine Label-Kollegen gestalten und frickeln ihr Soundverständnis unter Namen wie Pawel, Pantha du Prince, Finn oder Turner. Letzterer war Vorband für Tocotronic und ist auch sonst durch seine Platten und Auftritte schon auffälliger geworden. Er hat allerdings nach wie vor großes Lampenfieber, wie Lawrence berichtet. Trotzdem ist der finanzielle Gesundheitszustand des Hamburger Label meist kritisch. „Dieses Jahr waren wir zum ersten und wahrscheinlich zum letzten mal im Plus“, berichtet Pete. Die rettende Überweisung, die das Labelkonto ins Plus katapultierte kam von Mute Records für einen Remix den Lawrence und Turner für Martin Gore machten. Ja genau, Martin Gore von Depeche Mode!

          

Der besitzt nämlich beste Kenntnisse über Elektronische Musik aus Europa und bekam dann auch mal Lawrence und Turner vorgespielt. Woran auch die im Musikbizz weit verzweigten Freundschaften der Dial-Crew nicht ganz unschuldig waren. Aber, dass Martin Gore dann auch in Begeisterung schwelgt, bekennender Fan ist und Remixe bestellt, das ist sicher einzig ihrer schönen Musik anzulasten. Und was passt besser zu einem schwermütigen Nico-Cover für das Martin Gore auf deutsch „Das Lied vom einsamen Mädchen“ erzählt als diese Hamburger, die den Blues auf elektronisch spielen? Ihre Musik erzeugt gekonnt ganz spezielle Gemütszustände, schafft große Weiten und öffnet melancholische Welten. Stimmungen, die nicht nur Martin Gore überzeugen. Ein bisschen Darkness hat schließlich noch niemandem geschadet. Ein bisschen Dial auch nicht.

www.dial-rec.de

www.smallville-records.com

-Plattenladen von Lawrence aka Peter Kersten und seinen Kollegen in der Hein Hoyer Str.56, St. Pauli. Anspruchsvoller Techno, Minimal, Elektronika.

Dieser Artikel erschien im August 2004 in der taz-hamburg.
Text & Interview: Beaware 2004
Fotos: world-wide-web

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