“Musik gibt mir die Möglichkeit, unmögliche Räume zu schaffen und zu betreten.” – Im Interview mit Milena Georgieva
Ich freue mich, dass wir nun endlich sprechen. 2016 bis 2020 haben wir uns ja noch oft auf Events getroffen, du hast Kunst gemacht und hast als Yuzu vor allem aufgelegt. Während und nach der Pandemie habe ich dich kaum noch gesehen. Letztes Jahr dann wieder öfter. Ein absolutes Highlight war für mich dein Auftritt mit Magdalena Forster beim Sägezahnfestival im Dezember. Weil ich deine Transformation von der DJ und Künstlerin zur Musikerin und Performerin super interessant finde und darüber nur wenig weiß, deshalb treffen wir uns jetzt. Vielleicht fangen wir ganz am Anfang an – mit der Zeit bevor du nach Wien gekommen bist. Du bist ja in Bulgarien aufgewachsen. In Sofia oder wo genau? Hast du dort auch schon mit deinem Studium angefangen?
Ja, ich bin in Sofia aufgewachsen und habe dort auf der Kunstakademie noch ein Semester gemacht bevor ich nach Wien gekommen bin.
Und wie war das in Sofia aufzuwachsen? Wie war deine Kindheit? Wie war deine Jugend? Was hat dich damals interessiert? Wie war dein familiäres Umfeld? Was macht man dort so? Und wie bist du dann nach Wien gekommen?
Das ist eine lange Story. Ich bin in den 1990ern Jahren in Sofia aufgewachsen. Das war politisch eine Zeit des Wechsels und ich habe den Sozialismus nicht wirklich miterlebt, der meine Familie und meine Eltern geprägt hat. Aber ich habe ihn über ihre Erzählungen und über seine Folgen mitbekommen. In den 1990ern war es nicht leicht, genau wo ich geboren worden bin. 1989 und auch die Jahre danach sind sehr arme und schwierige Jahre gewesen. Das hat mein älterer Bruder noch mehr mitbekommen.
Hat sich das dann in materieller Knappheit bemerkbar gemacht oder auf weiteren Ebenen?
Oh ja. Es gab schon Momente, wo wir nicht wussten, ob wir heute noch ein Brot im Geschäft bekommen. Das hat sich dann so langsam verändert bis zur heutigen Situation, wo es alles im Geschäft gibt und alles eigentlich so teuer ist wie hier in Wien. Meine Eltern haben immer viel gearbeitet, um die Familie irgendwie abzusichern. Glücklicherweise haben sie einen Beruf, wo es immer Arbeit für sie gibt – sie sind Ärzte. Weil sie viel arbeiten mussten, bin ich oft mit meiner Oma gewesen, das hat mich sehr geprägt. Ja, und jetzt haben wir auch ein Kind, aber die Omas sind weit weg. Jedenfalls lebten wir zuerst im Zentrum von Sofia, dann mussten wir gezwungenermaßen in ein anderes Viertel umsiedeln und waren in einer eher kleinen Wohnung, also es war ziemlich eng. Mein Bruder ist fast acht Jahre älter und eine Zeit lang waren wir zu dritt in einem Zimmer, also ich, mein Bruder und meine Oma.
Oh wow. Und wie war deine Jugend? Gab es Musik zu Hause, was hast du als Teenager gemacht?
In Sofia spielen öffentliche Plätze eine große Rolle für das soziale Zusammenleben. Ich habe als Kind und Teenager viel Zeit draußen verbracht. Wir sind einfach immer draußen abgehangen und haben neue Orte erkundet – Parks, Gärten, Brachen, Plätze, Schulhöfe, Lücken zwischen den Wohnhäusern, öffentliche oder private Grundstücke ganz egal, wir sind immer draußen herumgelaufen. Subkultur und Austausch war für mich wesentlich an solche Plätze gebunden, wo man sich trifft, mehr als an Clubs oder andere Innenräume. Da haben wir auch oft lange aufeinander gewartet (lacht). Heutzutage wenn ich in Sofia bin, gehe ich immer noch an solche Orten, um Leute zu treffen. Und alle sind da. Es vermischt sich – von Obdachlosen über Skater, Hippies, Metals, Künstler:innen, Hipster und Office-Job Leute. Das gibt es in Wien nicht so oft und das vermisse ich auch. Darin sehe ich für mich eine persönliche Verbindung von Landschaft, Community und Kultur bzw. Musik.
Hast du auch ein Instrument gelernt? Wo konnte man Musik überhaupt hören?
Ja, meine Mutter hat darauf bestanden, dass erst mein Bruder, später dann ich, Klavierunterricht nehmen. Und ich habe es eigentlich geliebt, von klein auf, bis ich eine schlechtes Erfahrung gemacht habe. Einerseits konnte meine sehr coole Klavierlehrerin nicht mehr zu uns kommen und die neue Lehrerin bei uns im Viertel war ziemlich anstrengend. Ich habe immer mitgesungen, als ich gespielt habe, ohne es zu merken und sie hat das verboten und mir gesagt, ich soll meine Finger auf eine bestimmte Art halten. Sie war so ganz disziplinär unterwegs, und das war einfach sehr entmutigend für mich. Und dann kam meine Mutter einmal sehr müde nach Hause und hat verlangt, dass ich Klavier spiele, während sie sich auf der Couch ausruht… Und da ist irgendetwas in mir passiert. Ich wollte nicht spielen und sie ist ausgerastet. Ich habe dann entschieden, dass ich kein Klavier mehr spielen will. Was ich heute bereue.
Aber du machst ja trotzdem Musik.
Da begann dann mein langer Umweg zur Musik. Ich habe irgendwie dieses Bedürfnis gehabt, mich zu emanzipieren und ich dachte anscheinend, das funktioniert, indem ich das Klavier verweigere.
Jetzt bist du hier und das ist auch ganz gut so. Du hast hier dann Landschafts-Design und Industrial-Design studiert. Wie kam es dazu? Wolltest du gar nicht in so eine Malerei-Meister-Klasse?
Nein, die Kunstakademie in Sofia war damals noch sehr altmodisch, sehr konservativ. Es gab Malen, Zeichnen und Bühnenbild und die klassischen Fächer. Ich habe damals von der Angewandten einen Katalog gehabt und da waren all diese interessanten Namen von den Studienrichtungen und eigentlich wollte ich… Ich habe mich für Werbung entschieden, weil ich dachte, das ist schlau. Wahrscheinlich kann ich damit Geld verdienen und mit verschiedenen Medien arbeiten. Super Entscheidung für jemanden, der sich nicht entscheiden kann. Aber es hat nicht geklappt.
Sie haben dich nicht genommen?
Nein. Ich war bei der Prüfung und noch sehr jung, so 18 oder 19, und ziemlich naiv. Ich wurde dann in der letzten Runde gefragt, wie es so in Sofia ist und ich habe Sofia sehr schlecht verkauft. Ich habe einfach gesagt, es ist nicht schön dort und es ist schmutzig… irgendwie so. Und natürlich haben sie mich nicht genommen, weil ich anscheinend keine gute Werbung machen kann (lacht). Und dann hat ein Freund gefragt: Warum probierst du nicht die Landschaftsdesign-Klasse? Die sei ziemlich cool. Und dann habe ich mich ein bisschen eingearbeitet in das Thema. Ich bin zu Vorlesungen gegangen und bin dem Thema näher gekommen.
D.h. du bist einfach schon hergekommen ohne Studienplatz?
Genau. Nach einem Semester Kunstakademie in Sofia habe ich mich entschieden, dass ich am besten einfach hierher komme und hier ein bisschen Zeit verbringe, damit ich überhaupt das richtige das Mindset habe, weil es schon anders ist. In Sofia will man, dass du auf eine bestimmte Art und Weise zeichnest in so einer Klasse. Und hier wollten sie, dass du irgendwie etwas Besonderes machst oder halt ganz anders bist als die anderen. Das war das erste Mal, dass ich mein Denken umprogrammieren musste. Und dann war die Prüfung aber eigentlich ähnlich zu dem, was wir in Bulgarien gemacht haben. Es hatte viel mit Zeichnen zu tun und ein großer Teil der Prüfung fiel mir leicht. So bin ich reingekommen und dann waren es ein paar schöne Jahre.
Aber bei all diesen Sachen kommt ja Musik gar nicht vor. Wie bist du denn überhaupt wieder zur Musik zurück gekommen?
Ja, Musik war einfach immer eine Leidenschaft, die nebenher lief. Und ich habe einfach immer sehr nerdmäßig Musik gehört und alles gesammelt und gesucht, so digital.
Und wann ging das los?
Schon vor den Teenager Jahren. Mein Bruder ist da mein Vorbild gewesen. Er hat sehr viele Tapes gesammelt und seltene Releases gesucht. Er war aber spezialisiert auf Metal. Und ich war einfach sehr neugierig und hungrig danach, verschiedenste Sachen in der Musik kennenzulernen. In manchen Jahren bin ich mit den Trance-Kids abgehangen, dann mit den Punk-Kids oder mit den Hardcore-Kids und so weiter. Bekanntschaften habe ich immer auch mit Musik verbunden: Was hörst du, was kennst du, was kann ich von dir lernen? Und deswegen war mein Interesse immer eher so breit gefächert. Und als ich nach Wien gekommen bin, hat sich noch mal eine ganz neue Welt aufgemacht. Und zwar wieder über bulgarische Freunde, die sehr musikinteressiert sind. Und da bin ich einfach mit der Festplatte vorbeigekommen und habe alles kopiert. Und dann hatte ich einen Monat lang neue Musik und von da aus findest du selber noch andere Sachen. Und neben dem Studieren habe ich dauernd gesucht. Und dann ziemlich bald, nachdem ich nach Wien gekommen bin, habe ich angefangen aufzulegen.
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