Seit Juni 2018 ist Christophe Slagmuylder der neue künstlerische Leiter der Wiener Festwochen. Dass dies keine leichte Aufgabe ist, hatten verschiedene Vorgänger und Vorgängerinnen bereits gezeigt. Zuletzt Tomas Zierhofer-Kin, der dafür die Leitung des Donausfestivals aufgab, welches er seit 2005 erfolgreich auf ein neues Level gehoben hatte. Seine neuen Ziele, wie etwa ein jüngeres Publikum für die Festwochen mittels Club Kultur zu begeistern und vor allem die Strukturen mittels Einsatz von Ko-Kuratoren zu emanzipieren kamen nicht gut an bei Presse und Publikum (siehe beispielsweise Resümee Profil oder Interview der Autorin mit den Ko-Kuratoren). Auch wenn die Festwochen immer mal wieder formulieren sie wollen ein Festival für die ganze Stadt sein gelingt dies bisher nicht (so kannten weder befragte Taxifahrer das Fest und auch die Mehrheit meiner Studierenden hatte das Festival noch nie vorher besucht). Dies mag auch mit dara liegen, dass die Ticketpreise nicht gerade günstig sind, obschon es einige Veranstaltungen bei freiem Eintritt gibt. Das vorwiegend bildungsbürgerliche Publikum kann mitunter als ungnädig bezeichnet werden und die Ziele von Geschäftsführung und Aufsichtsrat hängen hoch. Für die Stadt ist der Event symbolträchtig in der Positionierung Wiens und Österreichs seit dem zweiten Weltkrieg und subventioniert die Veranstaltung mit 13 Millionen, weitere Sponsoren sind Bank, Versicherung, Casinos, Bier, Arbeiterkammer und Flughafen.
Anspruch und Ziel der Festwochen sei nicht nur in Wien ein besonderes Festival zu sein, sondern man will auch international ein „hochbeachtetes und wegweisendes“ Festival sein, so Rudolf Scholten (Aufsichtsratsvorsitzender der Wiener Festwochen) bei der Pressekonferenz 2018, wo man den neuen Intendanten der Öffentlichkeit vorstellte. Slagmuylder kam auf Vorschlag der neuen Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler, die Kulturmanagerin war selber bei den Wiener Festwochen als Dramaturgin tätig gewesen und zwölf Jahre lang Intendantin des Festivals steirischer Herbst. Sie hatte mit Slagmuylder schon wiederholt zusammengearbeitet, dieser leitete seit 2007 in Brüssel das KunstenFestivalDesArtes. Laut Kaup-Hasler hätte man eine gemeinsame Vision davon, was ein Festival im urbanen Raum sein könnte. Einen ersten Eindruck konnte man in den vergangen vier Wochen gewinnen.
Hyperreality, Lax Bar & Proletenpassion
Besonders enttäuschend für die Liebhaber und Lieberhaberinnen von Club Sounds und Experimenten elektronischer Musik war das Ausbleiben bzw. Absetzen des Hyperreality Festivals, unter Tomas Zierhofer-Kin ein kleines Club-Festival im Festival (siehe Rückblick der Autorin hier). Hyperreality fand dafür erstmals als eigenständiges Festival, unabhängig von den Festwochen statt. Wie immer mit einem solide bass-orientierten und diversen Lineup, verortet an einer ungewöhnlichen Location (Sophienalpe). Leider zeitgleich zu den Festwochen. Aufgrund der abgelegenen Location hatte man die Möglichkeit DJ Paypal in den frühen Morgenstunden in einer familiären Runde von weniger als 20 Leuten zu erleben (Foto). Ein Highlight war das Lineup des letzten Abends am Pool Floor, an dem auch später noch zahlreiche Besucher und Besucherinnen anwesend waren, das durch harten Techno und Hardcore geprägt war und gekonnt lokale Acts wie Antonia XM, Schirin, Alpha Tracks oder DJ Warzone mit internationalen Acts wie Astrid Gnosis oder Kilbourne zusammenbrachte. Einen guten Überblick vermittelt der Review vom si-blog.net
Musik gab es aber auch 2019 bei den Wiener Festwochen, so in der Roten Bar des Volkstheaters, wo Fennesz das neue Album „Agora“ präsentierte, und DJ Ipek, Zachov oder Oliver Coates zu hören waren. Bei einer Eisdisco legten DJs zum Schlittschuhlaufen in der Eishockey Arena in der Donaustadt auf, in den Gösserhallen gab es Drew McDowell oder Laurel Halo zu hören. Die Gösserhallen funktionieren als Club vor allem, weil der Eintritt umsonst ist, denn die große Halle ist ungünstig für dieses Setting, immersive Club Stimmung kommt nicht auf. Jedoch es geht wohl eher um den Ort als Festival-Treffpunkt. In einem ganz anderen Setting präsentierte die Lax Bar lokale Acts wie Philipp Quehenberger, Rosa Anschütz (Foto) oder Jung an Tagen (Foto).
Letzteres ist nicht nur eine Bar in einem ehemaligen Schallplattenladen (einer der ersten Wiens), sondern auch eine begehbare Sound- und Architekturinstallation. Hier finden ebenfalls Konzerte statt. Diese künstlerische Arbeit emuliert auf kreative Weise Adolf Loos American Bar. Vanessa Joan Müller, Leiterin der Kunsthalle Wien schreibt über die Arbeit: „Die Lax Bar reduziert Architektur auf ihr eigentliches und setzt auf eine scheinbar einfache, die reine Wirkung des Materials betonende Gestaltung, die gleichzeitig die materielle Opulaenz des Loos’schen Vorbildes negiert.“ Sie rekurriert auf den Künstler Jean-Pierre Raynaud, der ganze Häuser komplett kachelte und von dem die Künstlergruppe offenbar inspiriert wurde und durch dessen krasse Wirkung ein Alice-Wunderland-Effekt entstünde. „Die Lax-Bar , in den Proportionen und der Innenraumgestaltung eine Variation der Loos Bar, nutzt allerdings deren Einsatz von Spiegeln um die Besucher*innen stets in die Architektur mit einzuschreiben. Während die die seitlichen Spiegel so angebracht sind, dass man sich in ihnen nicht sehen kann, verwandelt die verspiegelte Decke den belebten Raum in ein (…) endloses Bild im Bild. (…) Und wenn Bachs Kunst der Fuge gespielt wird, mutiert die Lax Bar mir ihren im Raum verteilten Lautsprechern zu einem surrealen Klangkörper, in dem die Neonröhren unterhalb der Endlosspiegel im Rhythmus der Musik pulsieren“.
Definitiv eines meiner Lieblingsstücke bei den Festwochen, welches jedoch nur fünf Mal zu erleben ist. Auch ist ein Teil der Gösserhallen schon abgerissen worden, mehr folgt noch. Aber ein Teil soll als gentrifizierte Eventlocation erhalten bleiben. Das kleine alleinstehende Haus 100m weiter in dem Brigittes Schallplattenladen eine halbe Ewigkeit beheimatet war, und nun die Lax Bar, wird ebenfalls abgerissen. Wer also hier noch etwas sehen will sollte sich beeilen. Am 6.6.2019 ab 19h findet ein Artisttalk mit der Künstlergemeinschaft statt (Christoph Meier, Ute Müller, Robert Schwarz, Lukas Stopczynski; siehe Foto), die schon zum wiederholten Mal eine Interpretation der Loos-Bar erschuf. Am 7.6.2019 wird es erneut ein interssantes Musikprogramm geben, u.a. wird ein Chor dort performen und dann am 14.6.2019 öffnet die Lax Bar zum letzten Mal, was sehr bedauerlich ist und es sollte über eine Nachnutzung bis zum Abriss nachgedacht werden. Wer klaustrophobisch veranlagt ist, sollte die frühen Abendstunden anvisieren, denn spätestens ab Mitternacht wird es sehr eng, was auch die dann teureren Getränkepreise (Sad Hour) nicht verhindern konnten.
Gemischte Gefühle bleiben in Bezug auf die Theaterdarbietungen und Mulitmedia-Performances, die ich mir bisher angeschaut habe, darunter „3 Episodes“ (Markus Öhrn u.a. in musikalischer Begleitung von Dorit Chrysler am Theremin) oder „Diamante“ (Pensotti/Grupo Marea), „Fever Room“ (Apichatpong Weerasethakul). Zwar nicht uninteressant, aber euphorische Begeisterung wollte dennoch nicht aufkommen.
Mehr überzeugt hat mich die Proletenpassion, diese war zwar nicht Teil des offiziellen Festwocheprogramms, aber ist für mich dennoch dazuzurechnen, da sie 1976 bei den Festwochen uraufgeführt wurde und Parallel zum Eröffnungswochenende 2019 in dem Einkaufszentrum Lugner City augeführt wurde.
Ursprünglich von den Schmetterlingen, einer österreichischen Polit-Rock Gruppe, und dem Regisseur Dieter Haspel komponiert und aufgeführt, wurde sie 2015 von der Musikerin Eva Jantschitsch, besser bekannt als Gustav, und dem Dichter Hans Rudolf Unger, aktualisiert.
Bis zum 16.6.2019 laufen noch viele Produktionen, René Polleschs „Deponie Highfeld“ sogar noch bis zum 19.6.2019. Auch stehen noch musikalische Highlights aus wie das Istanbuler Duo Insanlar, das am 8.6. mit seinem Techno-Folk-Hybrid Tanz-Hypnose ermöglicht. Bei der Abschlussparty am 15.6. legt die Londoner DJ Cõvco Footwork oder der portugiesische DJ Nervoso Kuduro auf.
Mehr Infos: festwochen.at