Die Ausstellung Oh Yeah!, die ursprünglich Ende 2016 in Bremen startete und vom Bremer Landesmuseum ausgerichtet wurde, ging dann nach Frankfurt und ist jetzt in Berlin zu sehen. „Die Schau führt wie eine Radiosendung durch über 90 Jahre Popmusik in Deutschland – vom Swing der 1920er-Jahre über die Beat-Ära, Punk, Neue Deutsche Welle, Techno und Hip Hop bis zu heutigen Stilrichtungen. Nicht nur die Entwicklung in der BRD, sondern die Ereignisse in der Popgeschichte der DDR werden beleuchtet.“ (Rückblick Focke Museum) Das Museum wollte neue Zielgruppen erreichen und neue Konzepte ausprobieren, so verstärkt auch die Hörerfahrung mit einbinden. Das Vorbild war eine Pop-Ausstellung in Bern, deren Technik sie übernommen haben. Nach Berlin wird die Ausstellung in Leipzig und Stuttgart gezeigt.
„Vom Swing der 1920er-Jahre über die Beat-Ära, Punk, die Neue Deutsche Welle, Techno und Hip Hop bis zu heutigen Trends. Mit Kopfhörern tauchen Sie ein in die bunte Welt des Pop, hören an Soundstationen Musiktitel, Radio- und Filmbeiträge und gehen auf eine Zeitreise durch die eigene Vergangenheit. Nicht nur Hits werden präsentiert, auch Schlager, Kurioses und Vergessenes gibt es zu entdecken.“ (www.mfk-berlin.de)
Kann das überhaupt gut werden?
Als Einflüsse auf die deutsche Popmusik werden die Comedian Harmonists ebenso wie Stockhausen herangezogen. Ob 90 Jahre Popmusik nicht eine zu lange Zeitspanne darstellt um präzise und gleichzeitig umfassend zu historisieren wird sich zeigen. Ich bezweifel das. Dass das Vorbild fürs Ausstellungsdesign aus der Schweiz kommt lässt zumindest diesbezüglich Qualität erwarten. Von dem Kurator Jan Christoph Greim habe ich noch nie etwas im Zusammenhang mit Pop gehört. Er studierte Technik und Umweltgeschichte und promovierte zur Geschichte der Fischindustrie. Er war dann wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Deutschen Schiffahrtsmuseum Bremerhaven und kam über ein Volontariat zum Bremer Landesmuseum. Laut seinem Xing Profil zählt Pop noch nicht mal zu seinen Hobbies oder Interessen, sondern Leistungssport. Daher erwarte ich mir nicht viel, es sei denn er hatte gute BeraterInnen, die aber nicht in der Berichterstattung erwähnt werden. Es heißt nur: „in enger Zusammenarbeit mit Radio Bremen entwickelte das Landesmuseum die Inhalte für die eigene Ausstellung“ (Presse pdf Focke Museum). Es ist zu hoffen, dass hier kompetente RadiomacherInnen herangezogen wurden.
Wenn ich allerdings Sätze wie diese hier lese bezweifle ich das: „Das Herzstück der Ausstellung ist die Mainroad. Sie präsentiert den kulturellen Background der jeweiligen Popmusik-Epochen. Die Sound Lounge lädt zum Hören und Relaxen ein. 60 Songs von Marlene Dietrich bis Pur ergänzen die Klangerlebnisse der Main Road. Im Backstagebereich leben beim Anblick von Plakaten, Platten- und CD-Covern alte Erinnerungen wieder auf.“ (www.mfk-berlin.de) Interessant werden dann vermutlich höchstens die jeweils lokal stattfindenen Begleitprogramme mit Veranstaltungen. Vermutlich aber auch wieder eine von Männern gemachte und dominierte Ausstellung.
Vielleicht um dem entgegen zu wirken hat das Museum für Kommunikation Berlin parallel die Veranstaltungsreihe Berlin.Pop.Women. ausgerichtet. Diese beinhaltet lediglich vier Events, denn etwas „zurechtzurücken“ ist nicht so wichtig wie einseitig zu historisieren, was immer mit (Definitions-)Macht zu tun hat. Dies spiegelt auch der Text zur Ausstellung wieder:
„Frauen sind in der Musikindustrie als Künstlerinnen, Produzentinnen und in den Medien stark unterrepräsentiert. Häufig spielen sie lediglich als Konsumentinnen eine Rolle, was sich auch in unserer aktuellen Sonderausstellung OH YEAH! Popmusik in Deutschland widerspiegelt. Mit der Veranstaltungsreihe Berlin.Pop.Women wollen wir dieses Missverhältnis zurechtrücken. Gleichzeitig schaffen wir eine Schnittstelle zum Umfeld des Museums im Friedrichstadt-Kiez/ Mitte. Bis vor wenigen Jahren Hotspot der Clubszene, findet sich heute popmusikalisches Brachland.“ Der Versuch das entstandene Pop-Brachland zu beleben ist aber auch nicht wirklich gelungen. Über die KuratorInnen ist nichts zu lesen. Die Kooperation mit radioeins halte ich für einen Fehler, so passiert hier schon lange nichts aufregendes in Sachen Musik mehr.Selbst nach Mitternacht hat Deutschlandradio und Deutschlandfunk musikalisch interessanteres zu bieten. Durch radioeins ist auch der einzige wissenschaftliche Vortrag vom männlichen“Musikversteher” Prof. Dr. Hartmut Fladt, der wöchentlich Songs bei radioeins analysiert. (Genie, Gender, Gewohnheit. Wovon hängt Erfolg in der Popmusik ab? Dienstag, 22.5.2018, 18.30Uhr, freier Eintritt). Zur Clublandschaft kann Fladt wohl kaum etwas interessantes sagen. Dabei gibt es soviele SpezialistenInnen dazu und darüber hinaus in Berlin. Die wenigen oft leidenschaftslos und ohne Hintergrundwissen konzipierten Veranstaltungen sollen das Defizit der Ausstellung ausgleichen. Leider kaum etwas kritisches oder interessantes ist dabei. Für spezialisierte WissenschaftlerInnen oder AktivistInnen reichte das Budget offenbar nicht.
Der einzige Lichtblick ist das Konzert von Gudrun Gut & Joachim Irmler und Barbara Morgenstern (8.5.2018, 21 Uhr, Tickets: 10 €, ermäßigt 6 €) oder Mary Ocher (24.4.2018 21h).
Ich bin schon jetzt enttäuscht.