Transkript Online, Vortrag Berlin Ethnomusicology and the Anthropology of Music Research Group (BEAM), 14.07.2015

Transmediale Festivals – kulturelle Praktiken zwischen Kunst, Musik und Prekarität. Am Beispiel des CTM Festival Berlin

  1. Forschungsfeld Festival: Geschichte und Praktiken
  2. Das CTM Festival: Wurzeln und Bezüge
  3. Die musikalischen Aspekte des CTM Festivals: Was klingt hier?
  4. Genrefikationen: Schwierigkeiten der Begriffsvielfalt und Definitionen
  5. Möglichkeitsräume durch Musik – Musik als Selbsterfahrung

 

Vorweg möchte ich anmerken, dass ich Kultur nicht primär als Forschungsgegenstand verstehe, sondern vor allem als analytischen Zugang, als Instrument und Forschungsperspektive. Ich nehme einerseits Differenzen, Relationen und Beziehungen in den Blick und bringe andererseits unterschiedliche disziplinäre Wissensbestände, Theorien und Forschungsperspektiven zusammen. Ein ähnlicher Ansatz liegt meinem Verständnis von Popular Music Studies zugrunde, wo Kultur durch die Perspektive der Musik untersucht wird; diese Untersuchungen müssen zukünftig mehr durch empirische Forschung verankert werden. Der Gegenstand bleibt jedoch stets die Gesellschaft.

Aufgrung der begrenzten Zeit kann ich heute nicht auf den Aspekt der Prekarität eingehen, sondern möchte mich vor allem im Rahmen dieser Gruppe auf die musikalischen Aspekte konzentrieren.

  1. Forschungsfeld Festival: Geschichte und Praktiken

Zunächst soll es hier darum gehen, was ein Festival überhaupt ist und was die Praktiken und Charakteristika von Festivals allgemein und transmedialen Festivals im speziellen sind.

Das Festival ist ein inszenierter, zeitlich begrenzter Ausnahmezustand, der eine Aufmerksamkeitsdichte erzeugt und Erlebnisgewohnheiten durchbricht. Historisch sind Festivals vor allem Gelegenheiten, um eine kollektive Zugehörigkeit zu einer Gruppe oder einem Ort auszudrücken. Seit dem Zweiten Weltkrieg entwickeln Festivals zudem weiträumige Netzwerkstrukturen, die Verena Teissl als „dritten Raum“ bezeichnet und als grundlegend für Festivals einstuft. Festivals unterstützen die Weiterentwicklung künstlerischer Formsprachen und gesellschaftspolitischer Diskurse, sie (re-)produzieren Bedeutungen und Machtverhältnisse. In der Forschungsliteratur der Gegenwart werden Festivals zumeist als Barometer für Kosmopolitismus, Demokratisierung, Offenheit, Toleranz, Diversität und Kreativität gedeutet. Aber auch als Katalysator für Stadterneuerung, Stadtentwicklung, Citybranding und Kulturpolitik; sie repräsentieren Orte des Wettbewerbs und der Konkurrenz zu Fördermitteln, Ressourcen, Status und Macht.

Form und Struktur der Festivals ähneln sich häufig, jedoch unterscheiden sie sich vor allem in ihren Ausrichtungen und Inhalten. Die transmedialen Festivals sind ein relativ junges Phänomen. Diese neue Form der Festivals hat sich in verschiedenen Ländern und Städten ab den 1990er Jahren herausgebildet. Ich bezeichne diese Festivals als transmedial, da ihre Besonderheit im Zusammenbringen und -denken von Musik mit anderen Künsten, aber auch Diskursen, Medien und Technologien liegt, hier wird eine Idee über multiple Medien und Künste kommuniziert. Als Wegbereiter dieser Art urbaner Festivals in Europa kann die Ars Electronica in Linz gedeutet werden, die seit 1979 jährlich stattfindet. Ab der Jahrtausendwende entstehen an verschiedenen Orten in Europa und weltweit vermehrt Festivals dieses Typs.

Die von mir untersuchten Festivals beinhalten zwar auch Musik, vor allem mein Hauptforschungsfeld CTM hat einen starken Musikschwerpunkt, dennoch unterscheiden sich die transmedialen Festival erheblich von Musikfestivals, welche in Art und Tradition auf Festivals wie Woodstock zurückgehen; die transmedialen Festivals gehen dagegen in ihrer Ausrichtung vor allem auf Kunstschauen zurück.

Im Handbuch der populären Musik werden Musikfestivals als eine „wichtige Veranstaltungsform der populären Musik“ beschrieben, „die den Entwicklungsstand eines bestimmten Ausschnitts der Musikpraxis vor einer großen Öffentlichkeit dokumentiert, neue Interpreten bekannt macht, Vergleiche und Wettbewerb ermöglicht, engere Kontakte unter den Beteiligten fördert und künstlerische Experimente – je nach Schwerpunkt des Festivals – zur Diskussion stellt (…).“ Es wird auch darauf hingewiesen, dass die künstlerischen Aspekte zunehmend in den Hintergrund treten und die ökonomischen Interessen von spekulierenden Veranstaltern in den Vordergrund. Dieser Punkt wird auch im Handbuch “The Key Concepts of Popular Music Studies” behandelt: “The major festivals (…) are big business (…). At the same time as it forms a temporary community, joined in celebration and homage to the performers/ the genre, the festival audience is being created as a commodity. If it attracts the projected audience, the festival is a major commercial enterprise, with on-site sales of food, drink, souvenirs, income from broadcasting, live recordings etc. (…) In summary, music festivals are sites where commerce and popular ideology interact to produce historically significant musical meaning.” Auch wenn die transmedialen Festivals in der Regel eine Nische besetzen und eher als nichtkommerziell gedeutet werden können, tragen auch sie zu einer Kommodifizierung von Erfahrung und Erlebnis bei; und auch hier spiegeln sich Schattenseiten des Kapitalismus, so durch prekäre Arbeitsverhältnisse oder hohe Risikobereitschaft bei minimaler Absicherung. Dies ist auch ein wesentlicher Teil meiner Dissertation, der aber heute hier nicht weiter thematisiert werden kann.

Im Gegensatz zu den Musikfestivals haben die transmedialen Festivals ihre Wurzeln beispielsweise in den Weltausstellungen und später in Veranstaltungen wie der Documenta oder Biennale und verfolgen einen Ansatz der die Künste und die Bildung fördert. Teissl (2013) sieht diese Formen als zentrale Paradigmen für das Kulturveranstaltungsformat Festival in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts: „Künstlerisch-kulturelle Veranstaltungen agieren traditionell als Kunstproduzenten, als einflussreiche Schaltstellen für Kunstvermittlung und Kulturbegriffsbildung auf regionalen, nationalen und globalen Ebenen (…)“ (Teissl 2013:169). Zumindest die etablierten transmedialen Festivals sollten deshalb nicht oder nicht nur auf Outdoor Musikfestivals zurückgeführt werden, sondern eher auf die Tradition der Festspiele, welche Programme mit hoch-qualitativen klassischen Werken präsentieren “interpreted by renowned performers within famous theatres or concert halls for the benefit of arts connaisseurs” wie Bernadette Quinn (2005) es formuliert. Denn hier wurden traditionell die zivilisierenden und edukativen Werte einer bürgerlichen Hochkultur reaffimiert.

Dies erkenne ich auch bei den transmedialen Festivals, so kommen zu Festivals wie CTM gebildete Musikliebhaber, denen tendenziell etwas Elitäres anhaftet, was auch viele der Beteiligten so formulieren. Volunteer Cristina beschreibt das Publikum als „sehr ausgewählt, fast elitär“. Die Veranstaltungen des Festivals beurteilt sie als exklusiv. „Es sei denn man hat die Motivation sich im Vorfeld zu erkundigen, um überhaupt zu verstehen, was da passiert. Denn man braucht schon ein bisschen Wissen, um es schätzen zu können. (…) Ich sehe diese Szene sehr ähnlich wie die der Klassischen Musik. Gleiches Niveau und gleiche Exklusivität, auch vom Verhalten und Habitus der Leute. (…) Die Leute, die ich von CTM kenne und manchmal treffe, die gehen nur zu ganz bestimmten Veranstaltungen von denen du niemals erfahren würdest, wenn du nicht in diesen Kreisen bist.“ Benny aus dem CTM Team sagtbeschreibt „diese Kreise“, als Interessensgruppe aus den Bereichen Medien, Musik und Kunst: „dann ist CTM die Plattform, die man besuchen sollte. Man muss ja schon die einschlägigen Magazine oder Seiten lesen und Konzerte verfolgen – sonst wird man nicht aufmerksam darauf, kommt man ja gar nicht erst zu CTM. Ob man sich ein Festivalticket kauft, hängt auch von der Kenntnis der Musik ab. Wenn ich nur über das Radio Musik konsumiere, wird es schwierig zu CTM zu kommen.“ Insofern ist hier eine Gemeinschaft beschrieben, die man durchaus als exklusiv bezeichnen kann, wie auch Volunteer Cecile betont: “It is an elitist festival. I don’t think that it is open to the general public because they don’t have a clue what noise music is and are irritated if they hear it. So it is a really specialized festival – you can see it in the way how the people dress, how they behave, how they listen to music – those people who came knew why they were there”.

Es handelt sich bei meiner Forschung daher im Gegensatz zu klassischen Feldern der Cultural Studies und Ethnologie, die Minderheiten und Randgruppen beforschen (Studying Down), um ein Studying Up (und vor allem Sideways), da mein Forschungsfeld zwar keinesfalls homogen ist, jedoch die meisten AkteurInnen aus der gebildeten Mittelschicht kommen. Diesen Hintergrund teilt die Forscherin mit dem Feld, woraus sich im Sinne der Multi-Sited-Ethnography nach George Marcus, welches meine Hauptforschungsmethode ist, sogenannte Para-Sites ergeben [“Para-site” as an ethnographic research method is a term first used by George Marcus to describe the creation of participatory spaces where multiple divergent agents and agencies discursively interact across geographic, temporal, and disciplinary boundaries. The para-site runs as a parallel but less conspicuous narrative to dominant practices that might otherwise be missed by studying institutions alone. Para-sites utilize existing structures to create a kind of double-agency of inputs and outputs that can be studied as the result of tacit knowledge. Para-sites also legitimate explicit form of experimentation and play that facilitates open-ended modes of knowledge production. (Marcus, 2000, https://conceptsinsts.wikispaces.com/Para-sites+%26+3rd+Spaces+(Jalbert)].

Ab den 1970er Jahren entstanden neue thematische Festivals oftmals auch als Reaktion auf restriktive und unflexible etablierte Kulturinstitutionen und bildeten einen kritischen Diskurs innerhalb des Festivalbetriebs. Vor allem die Festivals, die seit den 1970er Jahren und in der Gegenwart entstanden sind können als „sites of passage“ gedeutet werden: Marijke de Valck entwickelte den Begriff aus der Kombination von „obligatory points of passages“ aus der Akteur Netzwerk Theorie und dem ethnologischen Konzept der „rites of passage“ nach Arnold van Gennep, der kollektive Rituale als notwendig für die Bewältigung von individuellen Übergangsprozessen deutet. Dieses Konzept nutzt sie zur Beschreibung des Film-Festival-Circuits. Teissl überträgt dieses Konzept auf Arts Festivals im Allgemeinen: sie geht davon aus, dass Festivals mit der Zeit zu wichtigen Knotenpunkten in kulturellen Netzwerken werden „dessen größter Effekt das generieren von kulturellen Auseinandersetzungen ist“ (Teissl 2013:76). Das CTM Festival wurde seit Beginn meiner Forschung vor allem ein Ort der Auseinandersetzung in Fragen bezüglich Gender und Diversity. Ihrem Bildungsauftrag kommen die Festivals, ähnlich wie die Festspiele, durch Auftragsarbeiten, Premieren, Workshops und Laboratorien nach, an deren Ende neue Kunst- oder Musik-Performances stehen. In dieser Traditionslinie verorte ich auch das CTM Festival.

  1. Das CTM Festival: Wurzeln und Bezüge

Das CTM Festival entstand aus einer Kritik am Festival transmediale – Festival für Kunst und digitale Kultur, welches bereits seit 1988 (damals noch VideoFilmFest) in Berlin stattfindet und das in seiner Medienkunst-Schau und -Konferenz keine Musik miteinbezog. Daher organisierte man 1999 erstmalig in Absprache mit der transmediale eine Begleitveranstaltung aus künstlerischen und vor allem musikalischen Positionen. Seitdem hat sich CTM zu einem eigenständigen Festival entwickelt und präsentiert jährlich aktuelle Trends der elektronischen und experimentellen Musik sowie künstlerische Projekte aus dem Umfeld zeitgenössischer Musikkultur. CTM kooperiert nach wie vor mit der transmediale und findet zeitgleich mit ihr statt. Allerdings hat das CTM Festival eine Dauer von 10 Tagen, während die transmediale inzwischen nur noch 4 Tage andauert. CTM wird von dem Verein DISK – Initiative Bild & Ton e.V. und der CTM GbR getragen. DISK ist Mitglied der Initiative Neue Musik Berlin und Dach/Musik – Freie Musikszene Berlin sowie Mitbegründer des Netzwerks ECAS/ICAS – European/ International Cities of Advanced Sound. In 2013 haben beim CTM Festival 200 KünstlerInnen, ExpertInnen usw. aus 25 Ländern mitgewirkt, die 150 Konzerte, Performances, Installationen usw. und 30 Partner Events gestalteten. Es kamen 23.000 BesucheInnen zum Festival. Laut CTM ist die Kernzielgruppe: 19-45 Jahre; 45% der BesucherInnen sind international, 15% national, 40% regional.

Neben Wurzeln in den Festspielen und Kunstausstellungen, die vor allem in der Kuration der letzten Jahre immer deutlicher werden, entstand CTM aus der Clubkultur Berlins. So sagt der Kurator Jan Rohlf, dass die Philosophie von CTM an die Erfahrungen der Clubkultur Anfang der 1990er geknüpft war und ist:

„Da waren wir noch sehr euphorisch über die Möglichkeiten und Potentiale dieser Räume, über das, was wir empfunden haben und das wollten wir auch weiter tragen. Am Anfang war das sehr klar, dass wir gesagt haben: das ist eine neue Art von Kunstort, der vielmehr auf Erfahrungen und persönlichen Begegnungen fußt, wo ästhetische Arbeit immer mit sozialer Situation verbunden ist, was auch genau das Aufregende daran ist. (…) Also der Club als Ort, wo manche Regeln außer Kraft gesetzt sind und wo möglich ist, was im Alltag sonst eher nicht möglich ist, wie etwa dass Hierarchien aufgebrochen werden. Das ist schon eine Art Utopie gewesen. Und die fußte in der Erfahrung, die wir selber auch gemacht hatten in den frühen 1990ern Jahren. Und das hat sich eben verändert. Clubs mussten sich kommerzialisieren, legalisieren, institutionalisieren und einfach geordneter aufstellen. Weshalb dieses Rumexperimentieren dann auch nicht mehr so möglich war, wie es mal lange Jahre möglich gewesen ist in Berlin. (…) Klar war, dass der Club die direkte Verlängerung der künstlerischen Arbeit einer oder auch weniger Personen war, die sich als Künstler oder kreativ Beitragende aufgefasst haben, das gibt es so nicht mehr. Aber das war die Inspiration.“

Die Schwerpunkte der transmedialen Festivals variieren – einige haben ihren Fokus auf Kunst, andere auf Technologie, viele jedoch auf Musik. Und viele dieser Festivals sind aus der Clubkultur bzw. aus den Szenen der digitalen Kunst und Musik der 1990er Jahre heraus entstanden. Der Prozess der Digitalisierung findet parallel zu der Entwicklung der Festival statt, wie Rohlf formuliert: „Eine ganz große Veränderung ist natürlich Digitalisierung als Motor von Veränderungen. Das fing ja nun gerade an, als wir losgelegt haben 1999, das ist eine Entwicklung, die läuft parallel zu unserer eigenen Arbeit.“ In einem EU-Forschungsprojekt zu Festivals werden Festivals der elektronischen Musik als kultureller und ästhetischer Katalysator bewertet, der das Publikum in Richtung intensiver Partizipation und kosmopolitischer Haltung stimuliert: “Indeed, electronic and dance music represent (…), a common language, especially for young people and new generations of festival-goers. Artificial sounds, electronic rhythms, as well as the presence of technology and computers in the performance, constitute what can be considered a contemporary expression of a cosmopolitan cultural common language“ (Magaudda et al in Delanty et al.:29-30).

Die transmedialen Festivals finden in der Regel nicht auf einem Festivalgelände statt, sondern an verschiedenen Orten in den jeweiligen europäischen Großstädten, die sie bespielen und darüber auch mitgestalten, daher kann man die Festivals auch als urban bezeichnen. Diese Festival-Formate werden in der englischsprachigen Forschungsliteratur zumeist unter Arts Festivals zusammengefasst. Die Arts Festivals orientieren sich an der Funktion der Künste; diese gestaltet sich nach Rolf Grossmann „in der zweckfreien Erfahrung gesellschaftlicher Wirklichkeit bzw. als Exploration von Grenzbereichen“ und zieht sich „als roter Faden durch die Geschichte der Ästhetik“ (Grossmann 2005: 242).

Diesen Bezug zur Kunst bestätigt auch Festivaldirektor Rohlf: „Wir wollten, dass das, was wir tun 100% Subjektive ist. Also, dass das, was wir zeigen nur auf den Vorlieben und Interessen dieser Leute, die daran beteiligt sind, gewachsen ist. Dass wir nicht versuchen Interessen von anderen Leuten zu vertreten oder fair, gerecht, politisch korrekt zu sein – außerhalb dessen, was wir in uns tragen; dementsprechend sollte es wie ein Kunstprojekt sein (…) Das war für uns ganz zentral.“ Der Kunst- und Clubbezug bei CTM spiegelt sich auch in den Biografien der Kuratoren, die alle drei aus der Kunst kommen. Jan Rohlf und Remco Schubiers waren als Künstler tätig und Oliver Baurhenn hat als Kurator und Organisator in der Kunstszene gearbeitet. Alle drei haben den Kunstprojektraum General Public betrieben und waren privat und beruflich in der Berliner Club Szene aktiv.

Sowohl in der Kunst als auch in den Clubszenen der 1990er Jahre geht es darum Mittel und Methoden für die Verwirklichung eines profilierten Lebensstils zu entwickeln, wie Geoff Stahl es formuliert. Stahl hat für seine Untersuchung urbaner Szenen 2004 das CTM Festival besucht und findet darin ein Musterbeispiel für Festivals als Labore: „In this capacity as a temporal cultural laboratory, the CTM scene serves as a node where social networks mesh, an instantiation or occasion that allows otherwise dispersed individuals to renew and reaffirm their commitment to one another, and to the project of living an artful life, in the context of a specialized field of cultural production” (Stahl 2005:315). Das Festival ist elementar für seine Szenen und sein soziales Netzwerk, das sonst lose und über die Stadt verstreut ist und welches sich dann auf einen oder wenige Orte konzentriert und seine Gemeinschaft zusammenbringt.

Was ist also CTM? Wie beschreibt das Feld selber das Festival – die MitarbeiterInnen, BesucherInnen oder Volunteers?

Charakteristisch bei den Beschreibungen der befragten Personen ist Vagheit, die sich auch in den Definitionsversuchen der musikalischen Genres zeigt. Die Musik und das Festival entziehen sich einer Kategorisierung. Auch spiegelt es die Flüchtigkeit dieser Events, die auf intensive Erlebnisse im Hier und Jetzt fokussiert sind.

Natascha (Name geändert), Co-Kuratorin des Diskursprogramms und ehemalige Praktikantin, hat vor allem die Mischung aus Musik und kritischer Reflektion interessiert. Sie hat sich im Studium und privat für Elektroakustische Musik interessiert und der Titel des Festivals und die Herangehensweise haben sie angesprochen. Sie sagt: „CTM ist ein Festival für Popmusik, es setzt sich zwar auch mit E-Musik auseinander ist aber kein Festival für E-Musik oder Klassik. (…) Ich finde, dass es in diesem Bereich elektronischer und experimenteller Musik das wichtigste Festival in Berlin ist. CTM ist ein Festival, das sich nicht scheut komische und auch sperrige Ecken der gegenwärtigen Musikkultur abzubilden und nicht nur nach Besucherzahlen schaut.“

Praktikantin Isa findet auch, dass eine Kategorisierung schwierig ist, „aber der gemeinsame Nenner ist sowas wie experimentelle elektronische Musik.“ Auch sie interessiert vor allem die Verbindung von elektronischer Musik mit diskursivem Programm: „Es hat einen akademischen Rahmen oder sie versuchen dem Festival einen akademischen Rahmen zu geben und es nicht nur als Musikfestival zu bewerben, sondern als etwas, das in die Tiefe geht und sich intensiver mit der Materie auseinandersetzt.“ Isa denkt es ist ausschlaggebend, dass das Festival in Berlin stattfindet, denn: „Berlin ist ein Zentrum für elektronische Musik – Techno hat hier Geschichte geschrieben. Die Locations, so wie das Berghain sind schon einmalig“. Sie hebt ebenfalls hervor, dass es ein anspruchsvolles Festival ist, „das nicht nur auf Party aus ist, sondern auch versucht den Besuchern etwas zu vermitteln“. Ihren Zugang beschreibt sie auch als Erkenntnis: „Wo ich angefangen habe mich mit elektronischer Musik auseinanderzusetzten, hatte ich das Gefühl es ist genau das, was ich brauche und gesucht habe. Es war wie eine kleine Erleuchtung. Ich hatte das Gefühl, dass die Leute, die auf die Festivals fahren Gleichgesinnte sind und es sind Leute, die oft einen ähnlichen Lebensstil führen“.

Praktikantin Katerina sagt CTM sei: “An experimental electronic music platform. But it is much more than a platform it is like an organism to itself, with all of these associated projects. But I think that it is not easy to define because the whole energy of CTM is moving towards a lot of discoursive spaces and new spaces that defy definition. I guess that’s the point. (…)” Volunteer Nadia beschreibt CTM als Veranstaltung für „Experimentelle Musik und Sound in Verbindung mit Kunst. Es ist für mich kein richtiges Festival, es ist irgendwie anders.“

Produktionsmanager Benny findet, dass CTM der spannendste Konzertveranstalter in Berlin ist, „weil nicht diese 0815 Sachen gemacht werden, sondern außergewöhnliche Projekte und Themen. CTM ist DAS Festival für experimentell-elektronische Musik in allen Facetten, was Deutschland wenn nicht Europa zu bieten hat. Was jedes Jahr mit einem neuen Thema versucht aktuelle Erscheinungsformen im Pop Bereich zu präsentieren und trotzdem Verknüpfungen zur Vergangenheit herzustellen, aber auch einen Zukunftsausblick zu machen. CTM nimmt einen sehr wichtigen Stellenwert ein, weil es nicht nur Namedropping macht wie z.B. das Melt oder Sonar Festival, die einfach nur Namen kaufen, sondern es wird sich auch über das Musikprogramm hinaus mit Tendenzen und akademischen Ansätzen beschäftigt und hat daher für mich ein anderes Gewicht“.

Volunteer Cristina sagt, „dass man eigentlich ein bisschen verrückt sein muss, um diese Musik zu ertragen und auch noch schön zu finden“. Adrian war Praktikant bei CTM und ist seitdem jedes Jahr als Volunteer dabei und bekommt inzwischen auch kleinere bezahlte Jobs. Für ihn unterscheidet sich CTM stark von anderen Festivals, durch den akademisch-reflektierenden Teil. Er sagt: „Man lernt viel dabei und deshalb geht es über das normale Konsumieren hinaus“. Taica, die Kommunikation und Presse bei CTM organisiert, stellt fest: “The average age of the CTM audience is around 33, so there is an older audience and I think a lot of people come because a festival tries to bring together a context for premiers or artists that don’t play often – so they come for the novelty and for the community”.

  1. Die musikalischen Aspekte des CTM Festivals: Was klingt hier eigentlich?

Das Genre-Spektrum des CTM Festivals und der ICAS Plattform umspannt alle experimentellen elektronischen Stile von der Club- und Labtop-Musik über Noise und Avantgarde Musik bis zu Neuer Musik und Sound-Art. Von Genrezwängen will man sich verabschieden und sieht sich eher einer experimentellen Haltung in der Musik verpflichtet. So wurde CTM anfänglich als Festival für elektronische Musik konzipiert und präsentiert seit 2005 zunehmend umfassend alle Genres der experimentellen Musik. Auch hat sich das Festival in den letzten Jahren von der Unterhaltungsmusik des Dancefloor mehr und mehr der Neuen Musik zugewandt, die in Theater- und Konzertsälen präsentiert wird. Das Programm ist immer auf mehrere wechselnde Standorte verteilt, wobei in den letzten Jahren das Theater Hebbel am Ufer – HAU, der Club Berghain und das Kunsthaus Bethanien die drei Hauptorte des Festivals bilden. Im HAU wird die weniger tanzbare Musik präsentiert, die sitzend und schweigend genossen werden soll. Im Berghain findet vor allem das clubmusik-orientierte Programm statt, das häuftig aus DJ-Sets und Labtopmusik Konzerten besteht. Bethanien ist der Ort für Kunst und Kommunikation, hier ist die Ausstellung zu sehen, die oft auch Klang- und Soundarbeiten oder Musikinstrumente- und Maschinen inkludiert und hier findet das Konferenzprogramm statt, wo Künstlergespräche oder Diskussionen, Vorträge und Filme das Programm bilden, die im Zusammenhang mit dem jährlichen Festivalthema und Musikprogramm stehen.

Um zu verdeutlichen was hier klingt, ein Zitat aus meinem Feld von Volunteer Nadia: „Im HAU fand ich es sehr dronig und sehr entspannend, viel mit Synthesizern und Instrumenten wurde da gemacht, so Free Jazz artig. Da gab es auch so eine Installation, wo die Lautsprecher im Kreis angeordnet waren und man lag in der Mitte, das war auch sehr körperlich. Mich hat im Stattbad vor allem der Opal Tapes Showcase interessiert – das ging von Drone-Ambient bis zu altem House. Es gab auch hiphopartige Sachen und diese Trommler aus dem Senegal. Im Berghain war dann alles von Noise bis Techno vertreten. Da war es auch sehr basslastig, so dass man das körperlich auch extrem fühlt. Da wurde auch viel mit Visuals gearbeitet. Ich bin sehr affin für Visuals, Lightshows, Lasersachen oder Stroboskoplicht“.

Die Verbindung zur E-Musik, also zur klassischen Neuen Musik, der sich in die „Festspiel-Tradition“ einordnen lässt, kommt meines Erachtens über die frühe Computer- und Synthesizer Musik zustande, die vor allem von WissenschaftlerInnen und klassisch ausgebildeten KomponistInnen vorangetrieben wurde. Interessiert man sich für komplexe Soundlandschaften in der Computermusik, die mit Hörgewohnheiten brechen, so ist es nicht mehr weit zu den Experimenten der Neuen Musik.

So reichen die Verbindungslinien in Deutschland bis zur Nachkriegszeit, in der sich ein reichhaltiges Angebot an experimenteller Neuer Musik nach und nach etablierte. In ihrem Buch „new music, new allies“ formuliert Amy Beal eine starke west-deutsche Verbundenheit zur amerikanischen experimentellen neuen Musik der USA. So wurden seit den 50er Jahren amerikanische Avantgarde Komponisten – ganz vorne weg John Cage – in den amerikanischen Besatzungszonen West-Deutschlands durch Events, Festivals, Auftragsarbeiten, Radio-Airplay und anderes mehr gefördert. Diese MusikerInnen wurden in Westdeutschland bekannter als in ihrem Heimatland und bestritten hier in großen Teilen ihren Lebensunterhalt: „over a unique period of fourty-five years, new music culture in West Germany constructed a canon of American music and actively promoted, produced, and distributed it’s most provocative representatives. In doing so, Germany created a context of prolific exile for American experimental music.” (Beal 2006:2) Die Idee der Neuen Musik war hier stark an die Idee des Fortschritts und Wiederaufbaus gekoppelt: „Concurrently, while the two countries negotiated a new relationship by means of military control and political reorganization, many styles of American music gained a foothold in West Germany (…) new music from America contributed to the reconfiguration of the German musical infrastructure.” (Beal 2006: 6)

Musikalische Diversität stand für Demokratie und über den sogenannten Bildungsauftrag flossen viele Gelder in die Etablierung der experimentellen Musik in Deutschland, amerikanische Komponisten und Interpreten wurden wieder und wieder nach Deutschland eingeladen: “The Bildungsauftrag, initiated approximately at the same time the first radiobroadcasts about John Cage were aired, protected unpopular music through state support in unprecedented ways. (…) The Bildungsauftrag succeeded, at least until reunification.” (Beal 2006: 251) Im Zuge der Wiedervereinigung entstanden hohe Kosten und die Zuschüsse wurden gestrichen, sodass der Bildungsauftrag nicht weitergeführt werden konnte. Stattdessen entstand hier eine neue Szene der experimentellen Musik, nämlich aus der elektronischen Musik der Clubkultur, was Berlin zu einem der Zentren der elektronischen Musik der Gegenwart werden ließ.

Die Räume und Szenen dieser unterschiedlichen experimentellen Stile unterscheiden sich zwar erheblich, dennoch kommen sie bei Festivals wie CTM punktuell zusammen. Dies sehe ich in der Fülle des Angebots und der Kontakte der Vergangenheit begründet, sowie im Einfluss des Festivalnetzwerks ICAS, in dem auch Festivals der Neuen Musik vertreten sind, wie das Musikprotokoll Graz, als auch weitere Festivals die ebenfalls Neue Musik und Clubmusik präsentieren, weshalb es im Laufe der letzten Jahre hier zunehmend Berührungspunkte gibt. So ist CTM auch Mitglied der Initiative Neue Musik. Hinzu kommt sicher auch der Drang der Kuratoren, sich neue Formen der experimentellen Musik zu erschließen.

An dieser Stelle möchte ich wieder ein paar Stimmen von AkteurInnen aus dem Feld einbringen, die beschreiben was die Musik in Kombination mit den anderen Künsten so relevant macht:

Für Natascha (Name geändert) sind solche Festivals deshalb ein Anlass, um über Musik allgemein, aber auch um über die eigene künstlerische und wissenschaftliche Praxis zu reflektieren. Das findet auch Praktikantin Isa. Denn Festivals wie CTM sieht sie als Gelegenheiten, „so viel wie möglich in kurzer Zeit zu sehen und mitzunehmen. Und durch die Dichte des Programms vertieft man sich in die Inhalte und kann auch so Schlüsse für sich ziehen. Mir gehen dann auch die Knöpfe auf und ich sehe so Verbindungen und Verweise, die ich vorher so noch nicht gesehen habe“. Katarina ist für ihr Praktikum bei CTM extra aus dem Ausland nach Berlin gekommen: “The reason why I approached them, and what I still associate with it – is this critical approach to electronic music and club culture. And also with the added dimension of sound art and experimental music which was something I was never really exposed to until the point where I got involved with CTM. But when I did get to know it – it was really exciting to me because I was quickly caught up with the club scene in Paris and New York where I had a lot of fun but I had the feeling that my brain was totally absent.“ Katarina wollte als Musikethnologin und kritische Forscherin einen anderen Blick auf diese Szene bekommen: “I wanted to get into that scene in a different way – thinking about it through a critical lens. It opened up this music scene that still has one foot in club culture and techno, but then it has this other foot in a more intellectual or artistic field. And it feels now like a more sustainable field in which I can develop – than that party culture where I was involved before I came to Berlin. (…) It feels more challenging and intellectually stimulating for me. (…) Contend wise it really opened up horizons and got me excited about exploring these tropes that havn’t been on my radar before.” Produktionsleiter Benny hebt wiederholt die Kunstbezüge zur Musik hervor: „Ich habe mich früher für Kunst interessiert und das, was wir präsentieren, hat auch immer viel Kunst und Kunstmusik zu tun. (…) Musik ist sehr, sehr wichtig für mich! Kunst und Musik ist inzwischen mein Hauptantrieb, vor allem experimentelle Musik in all seinen Facetten“.

  1. Genrefikationen: Schwierigkeiten der Begriffsvielfalt und Begriffsdefintionen

Wir haben gehört, dass die zentralen Begriffe hier Elektronische und Experimentelle Musik sind. Diese Spartierung stößt bereits musikhistorisch an ihre Definitionsgrenzen, da der Begriff „Elektronische Musik“ ursprünglich einen Stil beschreibt, der von den Studios für elektronische Musik des Nord-West-Deutschen Rundfunks in Köln geprägt wurde (Hiller und Isaacson 1959: Experimental Music, S.37). Der Physiker und Kommunikationsforscher Werner Meyer-Eppler, der das Studio mitbegründete, prägte den Begriff der Elektronischen Musik. 1949 hatte er ihn als erster im Untertitel seines Buches „Elektrische Klangerzeugung. Elektronische Musik und synthetische Sprache“ verwendet. „Elektronische Musik“ beschreibt hier eine bestimmte musikalische Praxis der experimentellen Musik mit elektronischen Produktionsmitteln und wurde beim NWDR neben Meyer-Eppler von Herbert Eimert begründet, der die atonale Musiklehre entwickelte.

Ähnlich verwirrend ist der Begriff der Experimentellen Musik, der sich in den Handbüchern ausschließlich auf Klassische bzw. Neue Musik bezieht. In dem Buch “electronic and experimental music” von Thom Holmes findet sich ein Glossary, das einige zentrale Begriffe knapp definiert. Electronic Music ist hier der allgemeinste Begriff für Musik, die Elemente der Elektronischen Musik aufnimmt, Elektronische Musik hingegen wird klar auf den historischen deutschen Stil des Studios für Elektronische Musik in Köln zurückgeführt. Auch Holmes Buch und Glossary richtet sich an der experimentellen Musik der Klassik aus. Als Electronica definiert er hingegen einen Stil der elektronischen Musik der Gegenwart, der sich auf populäre Musik bezieht, „relying heavily on electronic sonorities, beats, and sound manipulations.“

Wenn im Kontext von Popkultur über experimentelle Musik gesprochen wird, so ist mit Sicherheit KEINE Klassische Musik gemeint, es kann sich eben um alles Mögliche handeln: um Jazz, Kraut-Rock, New Age, Industrial oder eben verschiedene Ausprägungen elektronischer Musik handeln, welche mit unterschiedlichen Mitteln erzeugt wird (analog und/ oder digital). Spricht man in der Club Kultur von Elektronischer Musik, weiß zwar niemand genau was gemeint ist, jedoch wird in der Regel Electro, Techno, House, Noise, Breakbeats oder eines der vielen Metagenres und Derivate assoziiert. Ein großes Hindernis ist, dass die experimentelle Musik in Bezug auf Popmusik noch nicht wirklich in den wissenschaftlichen Blick genommen wurde und die Nachschlagewerke der Popmusik bringen hier nur wenig Aufklärung. Im Handbuch der populären Musik kommen die Begriffe der experimentellen oder elektronischen Musik nicht vor. Die Definitionen zu verwandten Stilen wie Avantgarde und Noise, beziehen sich lediglich auf die 1970er und 80er Jahre – auf Rock, Psychedelic, Industrial Rock und Hardcore Punk. Experimentelle Stile der Elektronischen Musik aus den letzten 30 Jahren kommen nicht vor.

Konkreter waren die Beschreibungen aus dem „All Music Guide to Elecronica“, der verschiedenste Genres, Meta-, Sub- und Microgenres erfasst. Der Titel zeigt bereits, dass man auch hier auf den Electronica-Begriff als allgemeinen Sammelbegriff zurückgreift. In meinem Feld sagen allerdings die wenigsten Leute „Electronica“, auch wenn dieser in Texten, als Kategoriebegriff in Plattenläden oder als Tag bei Soundcloud oder Mixcloud Verwendung findet. Man spricht hier im Allgemeinen von elektronischer Musik und verwendet dann Meta-Genre-Formulierungen in Kombination mit Label- und Künstlernamen zur Spezifizierung. Im All Music Guide finden sich auch einige Genre-Begriffe mit dem Zusatz „Experimental“ wie Experimental Techno, Experimental Electro, Experimental Dub, Experimental Rock und Post-Rock. Weitere Sparten unter den 62 Genre-Einträgen, die für mein Feld relevant sind beschreiben Noise, Minimalism, Shoegazing, Kraut-Rock, Space-Rock, Industrial, Electro-Acoustic, Dark-Ambient oder Detroit-Techno.

Eine für die transmedialen Festivals zutreffende Beschreibung findet sich unter den allgemeinen Termini Electronic und Electronica. Electronica beschreiben die Autoren als einen Gefährten von Techno, welcher mehr zur Kunst tendiert („artier companion of techno“). Sie führen aus: „A suitably vague term used to describe the emergence of electronic dance music increasingly geared to listening instead of strictly dancing”. Dies ist hilfreich für eine Beschreibung der Musik des CTM Festivals, denn hier geht es viel ums zuhören, darum Musik zu präsentieren zu der nicht getanzt werden kann oder muss. Unter Electronic wird hier eine Linie von amerikanischen Pionieren wie John Cage und dem amerikanischen Minimalism zu Karl Heinz Stockhausen oder zu Wendy Carlos gezogen, die den Moog Syntheziser populär machte. Diese Linie reicht bis hin zum deutschen New Age, Ambient und Space Rock, Avantgarde-Rock und Krautrock. Neben deutschen Bands wie Can und Neu! waren für die Autoren Bands wie Kraftwerk und Tangerine Dream relevant, da sie diese Einflüsse und Technologien in die Popmusik überführten und bekannt machten. Hier finden sich Bezüge, welche die vorangegangen Quellen teilweise bestätigen.

Anfangs war das CTM Festival musikalisch also enger gefasst, weil man sich als Musikfestival der Club Culture verstanden hatte, aber immer an den Schnittstellen zu Kunst und Bild. Der Untertitel des CTM Festivals wechselte einige Male, so hieß die erste Ausgabe noch „Club Transmediale – 10 Tage an der Schnittstelle von Bild und Ton“ und etablierte sich in den Jahren danach als „Club Transmediale – Festival for electronic music and related arts” und heißt seit 2012 “CTM – Festival for adventurous music and arts”. Dies war ein relevanter Schritt, um sich von Genre Zwängen zu befreien. Beim Netzwerk „ICAS – international cities of advanced sound“ finden wir den Begriff „Advanced Sound“ in Hinblick auf Musik. Sowohl „Advanced Sound“ als auch „Adventurous Music“ streben begrifflich die Auflösung von Sparten und Genres zugunsten eines weiten Musik-Begriffs an. Der Zusatz „related arts“ oder „art“ verweist auf die Wurzeln in der Kunstwelt und stellt Assoziationen zu Begriffen her, die auch in der Kunstwelt geläufig sind: beispielsweise Avantgarde, Sound-Art oder Kunst-Musik. Der Begriff „Advanced Sound“ affimiert auch wieder das exklusive und elitäre der Musik bzw. dieser Szenen, und lässt erahnen, dass hier ein gewisses Vorwissen und Diskurse von Relevanz sind.

Auf Basis dieser genannten Quellen habe ich spaßeshalber folgende Definition generiert, die meines Erachtens am besten auf das zutrifft, was die AkteurInnen in meinem Feld geäußert haben und was ich selber gehört habe oder auch dazu an Beschreibungen gelesen habe.

Versuch einer Definition des abgebildeten Musikspektrums:

Adventurous Music: Innovative neue Stile in Musik und Sound-Art, die in der Regel mit etablierten Traditionen, Stilen und Konventionen brechen. Diese werden häufig von visuellen Darstellungen begleitet. Die KünstlerInnen arbeiten häufig in diversen verschiedenartigen Musikgenres und auch Kunstsparten bzw. an den Schnittstellen, deren Grenzen sie durchkreuzen und aufbrechen, weshalb sie häufig VorreiterInnen neuer Stilausprägungen sind und als progressive Kräfte in der Musik agieren. Sie experimentieren mit Dissonanten Klängen, ungewöhnlichen Sound-Parametern und -Modulationen, Song Strukturen oder Gesangs-Stilen. Die Bezeichnungen „Adventurous Music“ und „Advanced Sound“ können sowohl auf Stile der Neuen Musik, der Atonalen oder Elektroakkustischen Musik angewendet werden, also auf das experimentelle Feld der Klassischen Musik. Aber ebenso in Zusammenhang mit experimentellen und innovativen Formen der populären Musik, hier vor allem, in der elektronisch beeinflussten Tanzmusik oder Clubmusik. Ebenso ist das vielfältige aufgreifen von außereuropäischen Musiktraditionen und Klängen charakteristisch. Der gemeinsame Bezug ist das Experimentieren an und für sich. Dennoch gehen Vorbilder und relevante Einflüsse häufig auf die ersten Experimente mit Computern, Tape-Loops und Synthesizern sowie alle Formen und Stile zurück, die von diesen Experimenten und Diskursen beeinflusst wurden.

Es gehört zum Charakteristikum der „Adventurous Music“ selber, dass sich diese Art von Musik gängigen Spartierungen und Genrefizierungen widersetzt, und sich um eine Synthese des Neuen aus allen Bereichen der Musik bemüht. Die Selbsterfahrung durch Musik besitzt hier einen hohen Stellenwert. Diese kann körperlich auf der Tanzfläche erfahren werden und wird von den AkteurInnen häufig durch Drogen verstärkt. Aber ebenso geht es hier um Musik, die nur dem Hörerlebnis dient und wo man sich mittels eines hochqualitativen Soundsystems, die vor allem die künstlerischen Möglichkeiten maschinengenerierter Sounds und Klanglandschaften ausloten, in ein kollektives Cocooning begibt. Ausgefallene Sequenzerfiguren, harmonisch und rhythmisch komplexe Klangarchitekturen und rechnergestützte Soundtransformationen sind typisch hierfür. Deshalb rezipiert man „Adventurous Music“ oft mit viel Nebel und wenig Licht, stehend oder sitzend, sich nur leicht hin und her wiegend, langsam vor und zurück neigend – d.h. shoegazend mit gesengtem Kopf auf die Schuhspitzen starrend oder mit geschlossenen Augen; aber vollkommen vom Klang affiziert. „Advanced Sound“ oder „Adventurous Music“ kann für all diejenige Musik verwendet, die sich weder stilistisch noch aufgrund ihres künstlerischen Anspruchs zu den vorhandenen gängigen Kategorien des Musikgeschäfts in Beziehung setzen lässt und ein Sammelsurium aus all dem bildet, was nicht einzuordnen ist. Zumeist Produktionen, die absichtsvoll komplex gestaltet sind, um der Musikentwicklung neue Wege zu weisen oder neue Formen des Musikmachens zu erschließen.

  1. Möglichkeitsräume durch Musik – Musik als Selbsterfahrung

Zum Abschluss möchte konkreter auf den Punkt Musik als Selbsterfahrung zurückkommen, welcher meines Erachtens für Club Kultur im Allgemeinen und das CTM Festival im Speziellen zentral ist. Wie also genau geht diese Selbsterfahrung hier von statten? Hierzu verwende ich die Idee der Möglichkeitsräume, welche für die transmedialen Festivals von größter Wichtigkeit ist.

Eine große Attraktivität dieser Festivals entsteht durch die Erschaffung und Optimierung multisensorischer Räume und extremer Intensitäten, welche hier zur Verfügung gestellt werden und die Erfahrungsmöglichkeiten eröffnen. Rohlf sagt, dass sich durch die elektronische Musik über verbesserte Technik und Soundsysteme die Qualität der Aufführung erhöht hat. Diese Entwicklung und ihre Qualitäten beschreibt er wie folgt: „Man hat viel gelernt wie man Räume optimieren muss, um dieses Erlebnis zu ermöglichen. Die Musiker in der elektronischen Musik haben auch eine größere Kontrolle über die Klangcharakteristika, als eine Rockband es hat. Das heißt, das ganze Feld der sensorischen Stimulation, die im Club ja auch multimedial ist, also da ist mehr als nur Musik dabei, die ist weiterentwickelt worden und es sind schon extreme Intensitäten, die da ermöglicht werden. Und das ist etwas das die Leute begeistert und was sie auch suchen. In den Wahrnehmungsqualitäten haben alle wahnsinnig dazu gelernt. Und diese Verschaltung von Medienkunst, bildender Kunst, Musik, Club, Drogen, Technologie – die Mitte der 1990er stattgefunden hat, hat das ganz extrem nach vorne geschoben.“

Jochen Bonz thematisiert in einer Publikation popkulturelle Erfahrungsräume des Utopischen bei jungen Mädchen, die sich meines Erachtens aber auch auf die Festivalerfahrung übertragen lassen. So kann durch die Überschneidung von Fiktion und Wirklichkeit ein Übergangsraum entstehen, der intermediäre Erfahrungsmöglichkeiten eröffne. Diesen bezeichnen Harrington und Bielby in einer Studie zu Soap Operas als ,wilde Zone‘. Die hybriden und multisensorischen Räume der transmedialen Festivals können ebenfalls als ‚wilde Zonen‘ gedeutet werden. Denn laut Bonz wird hier eine Erfahrung des Selbst ermöglicht, die jenseits dessen liegt, was in der Alltagswirklichkeit für das Subjekt lebbar ist, „und zugleich erhält es das Subjekt als in der Alltagswirklichkeit handlungsfähig“ (Bonz 2013:68). Da die Außeralltäglichkeit und Ritualhaftigkeit zentrale Charakteristika von Festivals sind, funktionieren sie nach Teissl als sites of passage. Wilde Zonen können als sites of passage funktionieren bzw. ausagiert werden. Diese Übergangsräume können mit der Kulturwissenschaftlerin Geraldine Bloustien auch als ‚serious play‘ verstanden werden. Bloustien forschte über Mädchen und Popmusik, aber ihre Beschreibung passt auch auf die hier diskutierten Festivals und Szenen: „[A]n imaginary step back to another time and place that seems more ‚real‘ or authentic, but an engagement with a different kind of other that opens up more possibilities“ (Bloustien 2003:137). Die Popmusik verschränkt hier laut Bonz zwei wichtige Aspekte: das Mit-sich-Führen von Orten, Idealen, Werten und Gemeinschaften sowie die intensive körperliche Erfahrung durch das Musikhören. So wird das Subjekt nach Bonz durch die Popmusik entführt und verwandelt. Beim Musikhören geht das Geordnete verloren und es entsteht etwas neues Undefiniertes, das aus der Gegenwart kommt und ein Gefühlsspektrum von Angst bis Geborgenheit abdeckt. Im ästhetischen Erfahrungsraum der Musik wird das Subjekt des Hörens neu verbunden und so zum Teil einer (neuen) Assoziation.

Diese Annahmen bestätigen auch die Aussagen meiner AkteurInnen. Mitarbeiterin Taica, die vorher beim Mutek Festival in Montreal gearbeitet hat, sagt: “It’s about these altered spaces that are out of the ordinary – time and perception.” Volunteer Cristina sagt über eine Performance: „Das hat mir einen viel größeren Blick auf das Leben gegeben, wie breit und vielfältig und vielschichtig alles ist, vor allem was die Wahrnehmung angeht. Ich fand es so krass, dass sowas ohne Drogen geht, dass man im nüchternen Zustand nur anhand von Klang komplett woanders hingenommen wird, wie Magie (…). Gerade die Musik im HAU, das war eine unbeschreibliche Erfahrung – undenkbar für mich davor.“ Cristina hatte ihre erste Begegnung mit dieser Art von Musik beim Atonal Festival in Berlin, diese beschreibt sie folgendermaßen: „Das fand ich sehr berührend und schön. Es war ein sehr hohes Niveau, das merkt man auch an den Menschen, die da sind. Da geht es nicht ums feiern oder sich wegzuschießen, sondern man geht dahin, um die Musik als Kunstform zu genießen. Deswegen war ich so beeindruckt von Atonal, diese 7 Tage dort, die waren für mich lebensverändernd. Die tiefste Erleuchtung, die man in musikalischer Hinsicht haben konnte“. Volunteer Cecile beschreibt diesen Erfahrungsraum als andere Welt: “It is a very special atmosphere and you are creating a sort of bubble, a time outside of the normal life. To cut with reality and go into another world.”

Nach längerer Beschäftigung mit transmedialen Festivals fühle ich mich ähnlich wie Praktikantin Katarina, wenn sie sagt: “I get really sick of using the words explorative, experimental, avantgarde – I cannot use these words anymore – but they are appropriate initial designations for what CTM is trying to represent”.

Ich danke für eure Aufmerksamkeit!

 

Literatur:

Bonz, Jochen (2013): Anproben des Selbst. Konzeptualisierungen pop­kultureller Erfahrungsräume des Utopischen im ‚mimetic turn‘. In: Mania, Thomas, Binas-Preisen­dörfer, Susanne et al (Hg.): ShePop – Frauen. Macht. Musik! Münster: Telos, 63-76.

Bloustien, Geraldine (2003): Girl Making. A Cross-Cultural Ethnography on the Process of Growing Up Female. Berghahn Books.

Bogdanov, Vladimir (2001): All Music Guide to Elecronica. The Definitive Guide to Electronic Music. Backbeat.

De Valck, Marijke (2007): Film Festivals: From European Geopolitics to Global Cinephilia. Amsterdam: Amsterdam University Press.

Delanty, Gerhard/ Giorgi, Liana et al (Hg.) (2011): European arts festivals. Strengthening cultural diversity. European Comission. Luxembourg: Publications Office of the European Union.

Quinn, Bernadette (2005): Arts Festivals and the City. In: Urban Studies Vol.42 (5), 927-943.

Grossman, Rolf (2005): Wissen als kulturelle Prozesse – Audioarchive im Wandel. In: Gendolla, Peter & Schäfer, Jörgen (Hg.): Wissens­prozesse in der Netzwerkgesellschaft. Bielefeld: transcript, 239-56.

Harrington, Lee/ Bielby, Denise (1995): Soap Fans. Pursuing Pleasure and Making Meaning in Everyday Life. Temple University Press.

Hiller, Lejaren/ Isaacson, Leonard (2015): Experimental music composition with an electronic computer 1959. Facsimile Publisher.

Holmes, Thom: Electronic and experimental music. Technology, music, and culture. Routledge 2012.

Marcus, George (2000) (Hg.): Para-Sites. A Case Book Against Cynical Reason. Late Editions.

Marcus, George (1995) Ethnography in/oft he World System: The emergence of Multi-sited Ethnography. In: Annual Review of Anthroöpology, Vol.24, 95-117.

Stahl, Geoff (2005): Play at Your Own Risk: Scenes from a „Creative City“. In: SPIEL (24), S. 309–324.

Shuker, Roy (2011): Popular Music Culture. The Key Concepts. Routledge.

Teissl, Verena (2013): Kulturveranstaltung Festival. Formate, Entstehung und Potenziale. Bielefeld: Transcript.

Wicke, Peter/ Wieland Ziegenrücker (2006): Handbuch der populären Musik. Atlantis/Schott.

 

Weitere Quellen:

Interview Transkripte CTM 2013-2015

 

Forschung.
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